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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
Autoren: Megan Abbott
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abzuschütteln, aber es geht nicht. Das Gesicht, Evies heiße Hand an meinem Bein, ich bin immer noch dort. Ich zähle dreimal bis zehn, wie damals als Kind bei Gewitter. Das funktioniert immer, auch dieses Mal.
    Aber als ich fast wieder eingeschlafen bin, ist mir auf einmal, als würde ich die Stimme meiner Mutter hören, sie redet und seufzt dann schwer.
    Da ist es wieder, dieses komische, haltlose Gefühl, als wäre alles verrutscht, während ich geschlafen habe. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie außer in der Zeit der Scheidung jemals um diese Uhrzeit telefoniert hätte. Ihre Stimme klang dann immer kratzig und gehetzt, voller Heulen und Zähneknirschen.
    Das hier klingt fröhlich, mit einem koketten Kichern dazwischen.
    Es klingt, als stünde sie vor dem Haus, und mir fällt ein, wie ich sie einmal, kurz nachdem mein Vater ausgezogen war, im Garten überraschte, das Telefon an Wange und Ohr gedrückt, sie stand weinend hinter der alten Eiche, weinte heiser, verzweifelt, die Hand vorm Gesicht.
    Aber dann höre ich eine tiefere Stimme, und ich weiß Bescheid. Ich weiß, sie telefoniert gar nicht. Ich weiß, es bedeutet, dass dieser Mann bei ihr ist. Ted hat ihn zuerst gesehen, aus seinem Fenster. Am nächsten Tag hat er mir davon erzählt, und von da an habe ich darauf geachtet. Dr. Aiken heißt er, sagt Ted.
    Und sieh dir mal seinen Ehering an, hatte Ted gesagt, aber ich war nie nah genug dran, um ihn sehen zu können.
    Er kommt immer ganz spät und betritt nie das Haus. Deshalb weiß ich, dass sie draußen auf der Veranda sitzen und Whiskey trinken, und er fährt sich übers Gesicht und sagt immer und immer wieder: »Ich weiß, ich sollte nach Hause gehen, Diane, ich weiß das.«
    Er geht aber nicht, oder erst morgens um fünf, die Schuhe in der Hand, die Krawatte lose um den Hals, schleicht er über den Rasen zu seinem Auto.
    Am nächsten Tag stehen Evie und ich vor der Schule, klopfen unsere Schläger im Takt aneinander. Der Traum von letzter Nacht schwirrt mir noch im Kopf herum, und ich denke darüber nach, Evie davon zu erzählen, aber dann überlege ich es mir anders. Eigentlich will niemand die Träume anderer Leute hören.
    Jedenfalls ist es einer dieser Tage, an denen wir nicht miteinander reden, nur zusammen sind, zusammen herumlaufen, unsere neuen Hockeyschläger aneinanderschlagen und uns die verschwitzten T-Shirts vom Körper zupfen.
    Ich muss immer noch die ganze Zeit den lila Fleck auf Evies Schläfe anstarren. Er sieht aus, als könnte er sich einfach ablösen und davonfliegen. Wie ein lila Schmetterling, der über dein Gesicht flattert, erkläre ich ihr.
    Sie tastet mit der Hand danach, und ich spüre es fast so deutlich, als würde er auf meinem eigenen Gesicht pulsieren, ein leises Pochen.
    »Was hat dein Dad gesagt?«, frage ich sie und stelle mir Mr. Ververs gerunzelte Stirn vor, wie damals, als ich bei ihnen auf der Treppe ausgerutscht bin, ich war zu schnell gerannt und hatte nur Strümpfe angehabt, war drei Stufen hinuntergeschlittert und hatte mir die Waden aufgescheuert.
    »Er hat mir bei Ketchums ein rohes Steak zum Drauflegen gekauft«, sagt Evie. »Mom meinte, es hätte mehr gekostet als ihr Hochzeitstagsessen.«
    Das klingt genau nach Mrs. Verver, die alles irgendwie gelangweilt sagt.
    »Er hat mich den ganzen Abend Rocky genannt.« Evie grinst.
    Wir verdrehen die Augen, aber eigentlich finden wir es toll. Wenn die Jungs sich lustig machen, will man es lieber nicht abkriegen, aber wenn Mr. Verver einen aufzieht, fühlt man sich wie von warmen Händen getragen.
    Evie stößt ihren Hockeyschläger in die Luft wie Zorro. »Dusty meinte, ich sehe eher aus wie eine verprügelte Ehefrau in einer Talkshow.«
    Dann erzählt sie, wie sie nach dem Abendessen noch zu Reynold’s gegangen sind und er ihr Pekannusskuchen spendiert hat, den guten, der so süß zwischen den Zähnen knirscht. Sie tat der Kellnerin so leid, dass sie sogar noch eine Extrakugel Eis dazu bekam.
    Ich stelle mir vor, selbst mit Mr. Verver dort zu sitzen, Teller mit klebrigem Kuchen zwischen uns, und dass die Kellnerin ihm bestimmt sowieso immer eine Extrakugel Eis serviert. Kellnerinnen sind immer so zu Mr. Verver, genauso wie sämtliche Mütter beim Elternabend aufgeregt um ihn herumflattern, ihm Kekse mit Zuckerguss auf den Teller legen und ihn zu ihren Lesekreisen einladen.
    Ich wünschte, sie hätte mich zu Reynold’s mitgenommen, wie sonst manchmal, und Mr. Verver hätte mir wieder Schlagsahne auf die Nase
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