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Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Titel: Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
Autoren: Peter Schaar
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die DDR – noch lebendig ist. Die brutalen Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Unterdrückungsapparat führten zu der Erkenntnis, dass eine mächtige Geheimpolizei (Gestapo) unter allen Umständen vermieden werden muss. Sowohl die föderalen Strukturen der Polizei als auch die Trennung von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden sind als Lehren der Vergangenheit in unser verfassungsrechtliches System eingegangen (vgl. 3.6).
    Auch der zweite deutsche Überwachungsstaat, die DDR, hat bei den Menschen tiefe Wunden geschlagen. Jegliche Vorstellung von Datenschutz war den DDR-Eliten fremd, vielleicht weil ein solcher als Ergebnis des überwunden geglaubten kapitalistischen Individualismus gar nicht mehr nötig sei. Der Staatssicherheitsdienst (Stasi) führte umfangreiche Akten über politische und persönliche Verhältnisse vieler Menschen. Die umfassende Bespitzelung und Informationssammlung sollte jede Einflussnahme des »Klassenfeindes« unterbinden. Wanzen, Richtmikrofone und inoffizielle Stasi-Mitarbeiter überwachten auch den privaten Bereich. Niemand war davor sicher, dass im Schlafzimmer oder in der Toilette heimlich angebrachte Mikrofone intimste Einzelheiten registrierten.
    Die so gesammelten Unterlagen waren so umfangreich wie brisant. Die Stasi hat in den fast vierzig Jahren ihres Bestehens rund sechs Millionen personenbezogene Akten zusammengetragen. Als sich das Ende der DDR abzeichnete, bemühten sich die Verantwortlichen um eine möglichst zügige und gründliche Tilgung der Spuren. Sie waren dabei zum Glück nur teilweise erfolgreich, auch wenn sie sich bei ihrem Anliegen die Unerfahrenheit mancher Oppositioneller zunutze machen konnten. So stimmte der »Zentrale Runde Tisch«, an dem auch Bürgerrechtler beteiligt waren, im Februar 1990 zunächst einer groß angelegten Löschungsaktion zu. Während die beteiligten Stasi-Mitarbeiter und die Repräsentanten der bisherigen DDR-Führung belastendes Material aus der Welt schaffen wollten, dachten die Oppositionellen an die Tilgung der gegen alle Grundsätze des Menschenrechts erhobenen Daten. Zur Begründung der Vernichtung der Stasi-Akten wurde auch die Angst vor »Selbstjustiz« als Folge einer Öffnung der Akten beschworen.
    Auch im Westen war man sich der Konsequenzen der beschlossenen Datenlöschung zunächst nicht bewusst. Bei den Datenschutzbeauftragten stieß die Idee, die zu Unrecht gespeicherten Stasi-Daten restlos zu vernichten, zunächst auf Sympathie. Erst allmählich kristallisierte sich heraus, dass damit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit ein Bärendienst erwiesen wurde. Es wurde nämlich übersehen, dass mit der Datenlöschung zwar die zu Unrecht gesammelten Informationen verschwinden, dass den Opfern und der Öffentlichkeit damit jedoch die Aufklärung von Schuld und Verantwortung erschwert würde. Selbst eine vollständige Vernichtung der Stasi-Akten hätte schließlich nicht das Herrschaftswissen ehemaliger Stasi-Funktionsträger beseitigt, das sie – ohne Widerlegung befürchten zu müssen – bei Gelegenheit an die Öffentlichkeit hätten lancieren können. Wie negativ es sich auswirkt, wenn die Frage des Umgangs mit Geheimdienstakten weiter ungelöst bleibt, ist derzeit in mehreren osteuropäischen Staaten zu beobachten.
    Auch wenn der Löschungsbeschluss im Wesentlichen nur hinsichtlich des elektronischen »zentralen Datenspeichers« umgesetzt wurde, war dies eine schwere Hypothek für die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit, da die notwendigen Informationen bisweilen mühselig aus verschiedenen verbliebenen Quellen rekonstruiert bzw. erschlossen werden mussten, darunter hunderte Säcke Papierschnipsel mit brisanten Informationen über die Auslandsaktivitäten der Stasi – Aktenüberreste, die wohl nur durch Zufall einer Verbrennung entgingen.
    Nach der deutschen Vereinigung wurde die Debatte über den Umgang mit den Stasi-Daten fortgesetzt. 1991 beschloss der Deutsche Bundestag das »Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik«, das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG). Der bzw. die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) bekam die Aufgabe, die Stasi-Unterlagen zu verwalten. In den Medien wurde diese Behörde nach ihren jeweiligen Leitern Joachim Gauck und Marianne Birthler zunächst »Gauck-Behörde« und dann »Birthler-Behörde« genannt.
    Das Gesetz unterscheidet zwischen Tätern, Opfern und sonstigen Betroffenen. Vor
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