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Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Titel: Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
Autoren: Peter Schaar
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Überwachungstechnologien erschließt zusätzliche Einsatzfelder. So können digitale Videoaufnahmen mit den in Datenbanken gespeicherten biometrischen Referenzbildern abgeglichen werden, um die aufgenommenen Personen zu identifizieren. RFID-Funkchips (RFID = Radio Frequency Identification; damit werden Gegenstände und Menschen über Funk erfasst), die mit Kassensystemen und Kundenkarten gekoppelt sind, erleichtern die Erzeugung von Kundenprofilen. Auch der Staat sammelt immer mehr Daten. Nachrichtendienstliche oder polizeiliche Ermittlungen können auch völlig Unschuldige betreffen. So muss man befürchten, als »Kontakt- oder Begleitperson« aufzufallen, die dann in einer entsprechenden Datei landet: sei es als Mitbewohner im Studentenwohnheim, in dem auch ein radikaler Islamist vermutet wird, als Arzt, der eine Zielperson medizinisch betreut, oder als Familienangehöriger eines Verdächtigen (vgl. 3.6).
    Über die ganze Gesellschaft legt sich nach und nach ein unsichtbares Überwachungsnetz. Seine Existenz wird uns häufig erst dann bewusst, wenn wir selbst von negativen Folgen betroffen sind: Der wegen einer negativen Schufa-Auskunft verweigerte Kredit (vgl. 4.2), das von Unbekannten elektronisch leer geräumte Konto oder auch nur die von digitalem Werbemüll vollgestopfte Mailbox (vgl. 4.1) vermitteln eine Ahnung von den negativen Seiten der elektronischen Erfassungsgesellschaft. Jeder kann völlig zu Unrecht in Verdacht geraten, gegen Gesetze verstoßen zu haben, etwa bei der Inanspruchnahme des Internets. Wir müssen dann beweisen, dass wir keine urheberrechtlich geschützten Werke aus dem Netz geladen haben und dass die Anfrage in einer Suchmaschine oder der Abruf einer Webseite nicht etwa aus Sympathie für extremistische Bestrebungen, sondern aus wissenschaftlichem Interesse erfolgt ist.
    Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis unsere elektronischen Persönlichkeitsprofile und digitalen Abbilder ein regelrechtes Eigenleben führen, wie es in elektronischen »Zweitwelten« im Internet à la »Second Life« schon spielerisch erprobt wird. Noch besteht die Chance, dass unsere Gesellschaft diesem digitalen »Frankenstein-Erlebnis« einen Riegel vorschiebt. Es ist höchste Zeit, dass wir aufwachen.

1.1 Privatsphäre und Öffentlichkeit
     
    Die private und die öffentliche Sphäre sind seit Jahrhunderten untrennbar miteinander verbunden: Die Privatsphäre ist Raum des individuellen Rückzugs und zugleich unverzichtbare Voraussetzung einer freien Meinungsbildung. Totalitäre Systeme haben deshalb stets versucht, sowohl die öffentliche als auch die private Sphäre einer vollständigen Kontrolle zu unterwerfen. Ohne einen geschützten Raum, in dem man unbeobachtet und unzensiert über seine Erfahrungen und Einstellungen reflektiert und sich mit anderen austauscht, kann es auch keine freie Öffentlichkeit geben. Freie Rede, freie Information und freie Meinungsäußerung würden ohne ein tief verankertes Recht auf Privatheit verkümmern 2 .
    Die sich wandelnden Vorstellungen über die Beziehung zwischen öffentlicher und privater Sphäre lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. Bereits in den griechischen Stadtstaaten entwickelten sich zwei voneinander klar geschiedene Seinsordnungen heraus, eine private und eine öffentliche. Die private Ordnung des Hauses (»oikos«) bildete dabei den Gegenpart zur öffentlich-politischen Sphäre des Marktplatzes (»agora«). Bei den Römern setzte sich diese Zweiteilung der Lebenswelten fort, die sich bis in unsere Tage erhalten hat. Aus dem Lateinischen stammt auch der Begriff der Privatheit; ausgehend vom Verb »privare« (berauben), bezeichnete »privatus« den Bürger, soweit er sich nicht politisch betätigte und der öffentlichen Beobachtung entzogen, »beraubt« war. Aus diesem Wortsinn heraus lässt sich herleiten, dass die private und die öffentliche Sphäre zwar zwei getrennte Welten repräsentierten, sich jedoch aufeinander bezogen. Zum Bürger wurde das Individuum erst dann, wenn es sich auch politisch, das heißt öffentlich betätigte. Das deutsche Wort »privat« wird seit dem 16. Jahrhundert verwendet und bezeichnet Sachverhalte bzw. Personen, die für sich stehen, also unabhängig sind. 3
    Die Privatsphäre in ihrer heutigen Bedeutung und ihr Gegenstück, die moderne Öffentlichkeit, sind ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft. In den meisten vorindustriellen Gesellschaften gab es keine Vorstellung von Individualität im heutigen Sinne. Vielmehr
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