Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Titel: Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
Autoren: Peter Schaar
Vom Netzwerk:
Regelungsansätze mögen in den Achtzigerjahren angemessen gewesen sein; für die heutige Welt der allgegenwärtigen Datenverarbeitung (vgl. 2.3) reichen sie nicht mehr aus. Außerdem musste der Datenschutz seither vielfältige Rückschläge einstecken, vor allem im Hinblick auf immer weiter gehende Eingriffe in die Privatsphäre, die mit der Kriminalitätsbekämpfung begründet wurden (vgl. Kapitel 3).

1.3 Nichts zu verbergen?
     
    Immer wieder wird mit dem populären Argument gegen den Datenschutz polemisiert, wer nichts zu verbergen habe, der brauche auch keinen Datenschutz. Immer wieder kann man allerdings feststellen, dass diejenigen, die gegen den Datenschutz anreden, ganz anderer Meinung sind, wenn es um sie selbst, wenn es um die eigenen Daten geht. Bereits der erste Bundesdatenschutzbeauftragte Hans Peter Bull hatte sich mit diesem Argument auseinanderzusetzen:
    »Wie dem auch sei – die Behauptung, man habe vor den Behörden oder den Mitmenschen nichts zu verheimlichen, widerspricht allen Erfahrungen des Alltagslebens. Da will doch jeder nur das über sich, seine Familie, seinen Beruf und seine Geschäfte verbreiten, was ihm vorteilhaft erscheint, und selbst derjenige, der sich gern selbst ironisiert oder aus öffentlicher Selbstkritik Befriedigung gewinnt, vermeidet es im Allgemeinen, sich ernsten Gefahren auszusetzen. Wer wird schon ohne Not bekennen, gegen ein Strafgesetz verstoßen zu haben? Wer wird durch unnötiges Offenbaren wirtschaftlicher Bedrängnis seinen Kredit gefährden? Und höchstens ein törichter Angeber wird durch unbedachtes Reden den Eindruck erwecken, nachrichtendienstliche Beziehungen zu unterhalten, sodass die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden auf ihn fällt.« 8
Gegen dieses Argument sprechen auch die jährlich Tausende von Beschwerden von Bürgern bei den Datenschutzbehörden über den fehlerhaften bzw. missbräuchlichen Umgang mit persönlichen Daten. Vielfach geht es dabei um sensible medizinische Angaben oder um Daten, die unter dem besonderen Schutz des Sozialgeheimnisses stehen. Dies widerlegt ganz praktisch die These, man habe nichts zu befürchten, weil man ja nichts zu verbergen habe.
    Die Formel »Datenschutz ist Täterschutz« ist neben dem Spruch »Ich habe nichts zu verbergen« das am häufigsten gegen den Datenschutz vorgebrachte Argument. Wer es nutzt, hat gute Chancen, die Lufthoheit an den Stammtischen zu erobern. Ob beim Kampf gegen Organisierte Kriminalität, Terrorismus, Sexualverbrechen, Sozialleistungsbetrug: Der Datenschutz wird häufig dafür verantwortlich gemacht, dass eine Straftat stattfindet oder nicht aufgeklärt werden kann. Bei näherem Hinschauen erweist sich jedoch fast immer, dass andere Gründe ausschlaggebend waren.
    Als nach dem 11. September 2001 der damalige Innenminister Otto Schily die Meinung äußerte, überzogener Datenschutz habe zu den Attentaten beigetragen (vgl. 3.5), stieß dies auf Widerspruch, etwa bei Spiros Simitis, dem einstigen hessischen Landesbeauftragten für Datenschutz und Mentor des Datenschutzrechts:
    »Erst hieß es, Datenschutz sei Täterschutz, jetzt sagt man, Datenschutz sei Terroristenschutz. Dies ist nicht nur falsch und Unsinn, sondern untergräbt eine der wichtigsten Voraussetzungen unserer demokratischen Verfassung. … Ich kenne nur Fälle, in denen der angeblich bei uns so übertriebene Datenschutz als Vorwand herhalten musste: Entweder weil die Ämter keine Lust hatten, rechtzeitig nach bestimmten Daten zu suchen. Oder weil sie unfähig, unorganisiert oder unzureichend ausgestattet waren, um auf Daten zugreifen zu können. Unsere Polizeigesetze und andere Vorschriften erlauben diesen Zugriff auf persönliche Daten seit Jahren, sie sind gerade deswegen weit formuliert. Ich frage mich jetzt: Warum machen die Behörden von ihren Möglichkeiten so wenig Gebrauch?« 9
     
    Diese und andere gute Argumente verhindern nicht, dass immer wieder die Legende »Datenschutz = Täterschutz« aufgewärmt wird, etwa beim Fall »Stephanie«, der sich Anfang 2006 in Sachsen ereignete. Wochenlang hielt dabei ein Mann in Dresden die 13-Jährige in seiner Wohnung fest, quälte und missbrauchte sie. Der inzwischen überführte Täter war bereits früher wegen einer Sexualstraftat verurteilt worden. Gleichwohl war er von der Polizei nicht gefunden worden, was zu berechtigten Fragen nach der Ursache hierfür führte. Schnell war der Schuldige ausgemacht: Polizeivertreter führten das Versagen auf den Datenschutz zurück, der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher