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Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Titel: Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
Autoren: Peter Schaar
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Leibe zu erkennen. 15
    Als an die Stelle von stabilen personalen Beziehungen mit genau definierten – teilweise ererbten – Rollen zunehmend flüchtige Kontakte traten, etwa der Kauf auf einem anonymen Markt, hatte dies auch Auswirkungen auf den Umgang mit Informationen. Indem die Beziehungen vielfältiger und unübersichtlicher wurden, schwand auch die Vertrauensbasis: Es war nicht mehr klar, wem man trauen konnte und wem nicht. Die mannigfaltige Erhebung von Daten war insofern auch eine Folge der abnehmenden Bedeutung personaler Bindungen und stellte eine logische Reaktion auf den hiermit verbundenen Vertrauensverlust dar. Diesen Prozess kann man allerdings auch positiv interpretieren: Die Erhebung von Daten gestattete es, trotz zunehmender Anonymität und persönlicher Fremdheit zu planen und zu handeln. Die Erhebung, Dokumentation und Nutzung von Informationen bildeten damit eine Voraussetzung für die Herausbildung moderner Gesellschaften.
    Die industrielle Produktionsweise machte es erforderlich, verstärkt Alltagsdinge aufzuzeichnen, als Erinnerungshilfe, als Beweismittel oder als Hilfsmittel bei der Planung. Arbeitsteilung, Warenaustausch und Maschinerien mussten geplant, gesteuert und bewirtschaftet werden. Ohne Dokumentation und Buchführung wäre all dies nicht möglich gewesen. Dagegen war bei der vorindustriellen landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion das notwendige Wissen von Generation zu Generation vorwiegend mündlich und anhand praktischer Demonstration weitergegeben und nur langsam weiterentwickelt worden. Für die industrielle Produktionsweise, die sich ab Ende des 18. Jahrhunderts in Europa durchsetzte, reichte diese traditionelle, im Wesentlichen personale Speicherung und Weitergabe von Informationen nicht mehr aus. Allerdings brauchte es fast hundert Jahre, bis die Idee der maschinellen Verarbeitung auf den Umgang mit Daten übertragen wurde. Die moderne Massendatenverarbeitung hatte ihren ersten Durchbruch allerdings im staatlichen Bereich, bei der Volkszählung in den USA 1890/91, die erstmals in größerem Umfang unter Einsatz von Lochkarten abgewickelt wurde. Die Lochkarten ermöglichten es, die Selektions- und Sortierprozesse erheblich zu beschleunigen. In der Folge wurde die – stetig verbesserte – Lochkarten- bzw. Lochstreifentechnik (die ursprünglich zur Steuerung von Webmaschinen entwickelt worden war) zunehmend in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung und auch in manchen Großunternehmen zur Verarbeitung von Daten eingesetzt.
    Das Unternehmen IBM entwickelte die Lochkartentechnik technisch weiter. Allerdings war das Unternehmen im Hinblick auf die Abnehmer ihrer Maschinen wenig zimperlich. So erkannte das NS-Regime, welche Möglichkeiten die automatisierte Verarbeitung von Massendaten eröffnet, sei es bei der »rassischen« Erfassung der Bevölkerung in Deutschland und in den besetzten Ländern, sei es bei der Vorbereitung und Abwicklung der Judenvernichtung und des Euthanasieprogramms oder bei der Bewältigung der logistischen Herausforderungen des Angriffskrieges. Die zügige Auswertung der deutschen Volkszählung von 1938/39, bei der – natürlich »streng vertraulich« – auch die »rassische« Abstammung erhoben wurde, war nur durch breiten Einsatz dieser Technik möglich. Auf der IBM-Website findet sich unter dem Stichwort »IBM-Geschichte« dazu die nichtssagende Eintragung:
    »Die Datenverarbeitung erlebt mit der ›Großdeutschen Volkszählung‹ – als Lohnauftrag – ihren ersten spektakulären Höhepunkt. Über 90 Millionen Lochkarten kommen zum Einsatz.« 16
     
    Was mit den Daten und später mit den Personen geschah, auf die sie sich bezogen, wird hier leider nicht mitgeteilt.
    Der Einsatz des modernen Computers, dessen Siegeszug durch militärische Verwendungsmöglichkeiten und die darauf abzielenden Förderprojekte drastisch beschleunigt wurde, verbreitete sich schnell auf alle möglichen anderen Anwendungsgebiete. Interaktivität – also die unmittelbare, schnelle Kommunikation zwischen Mensch und Computer, bei der der Mensch unterschiedliche Möglichkeiten der Steuerung des Geschehens hat – war für die Computerpioniere noch ein Fremdwort. Die sogenannte »Stapelverarbeitung« dominierte zunächst den Einsatz der Computertechnik. Dabei wurden sowohl die Programme als auch die Daten nach und nach eingelesen, dann elektronisch bearbeitet und schließlich wieder als Lochkarte oder Papierausdruck ausgegeben. Computer wurden im
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