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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Autoren: Walter Kempowski
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mir eine Fahne zum Zeichen der Freundschaft, in ihr war in Gold ein Gruß der amerikanischen Truppen an die Rote Armee eingestickt. Nachdem die Journalisten den Sitzungssaal verlassen hatten, begannen wir unsere Besprechung über die Kapitulation des imperialistischen Deutschlands.
    Keitel und seine Begleiter hielten sich inzwischen in einem anderen Gebäude auf. Wie unsere Offiziere berichteten, waren Keitel und die anderen Mitglieder der Abordnung äußerst nervös. Keitel sagte zu seinen Begleitern: «Als wir durch Berlin fuhren, mußte ich erschüttert feststellen, wie stark zerstört die Stadt ist.»
    Darauf antwortete ihm einer unserer Offiziere: «Waren Sie, Herr Feldmarschall,nicht erschüttert, als auf Ihren Befehl Tausende sowjetischer Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden, Orte, unter deren Ruinen Millionen unserer Landsleute, darunter Zehntausende Kinder, den Tod fanden?»
    Keitel zuckte nervös die Achseln, sagte aber kein Wort.
    Wie zuvor vereinbart, versammelten sich die Vertreter des Alliierten Oberkommandos Tedder, Spaatz und de Lattre de Tassigny, ferner Wyschinski, Telegin, Sokolowski und andere um 23.45 Uhr in meinem Arbeitszimmer, das an den Saal stieß, wo die faschistischen Militärs die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation unterzeichnen sollten. Punkt 24.00 Uhr betraten wir den Saal.
    Alle nahmen an einem Tisch Platz, hinter dem an der Wand die Staatsflaggen der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs hingen.
    An langen, mit grünem Tuch überzogenen Tischen saßen im Saal die Generale der Sowjetarmee, deren Truppen innerhalb kürzester Zeit die Verteidigung Berlins durchbrochen und die arroganten faschistischen Feldmarschälle, die faschistischen Rädelsführer und das ganze Nazideutschland in die Knie gezwungen hatten. Anwesend waren auch zahlreiche sowjetische und ausländische Journalisten und Bildreporter. Bei der Eröffnung der Sitzung erklärte ich: «Wir Vertreter des Oberkommandos der sowjetischen Streitkräfte und des Alliierten Oberkommandos sind von den Regierungen der Antihitlerkoalition bevollmächtigt, die bedingungslose Kapitulation Deutschlands von der deutschen militärischen Führung entgegenzunehmen. Führen Sie die Vertreter des Oberkommandos der Wehrmacht in den Saal.»
    Aller Blicke waren auf die Tür gerichtet, auf deren Schwelle im nächsten Augenblick diejenigen erscheinen sollten, die in die ganze Welt prahlerisch hinausposaunt hatten, Frankreich und Großbritannien in einem Blitzkrieg besiegen, die Sowjetunion in anderthalb, höchstens zwei Monaten vernichten und die ganze Welt erobern zu können.
    Als erster betrat Generalfeldmarschall Keitel – der engste militärische Mitarbeiter Hitlers – den Raum, langsam und bemüht, nach außen Gelassenheit zu zeigen. Er grüßte die Vertreter des sowjetischen und des Alliierten Oberkommandos, indem er die Hand mit dem Marschallstab hob. Ihm folgte Stumpff. Seine Blicke verrieten ohnmächtige Wut. Gleichzeitig mit ihm betrat Friedeburg den Raum. Er schien vorzeitig gealtert.
    Die deutschen Vertreter wurden aufgefordert, an dem für sie bestimmten Tisch Platz zu nehmen, der unweit der Tür stand.
    Keitel setzte sich bedächtig und blickte zu uns am Präsidiumstisch herüber. Stumpff und Friedeburg setzten sich neben Keitel. Die Offiziere ihrer Begleitung nahmen hinter ihnen Aufstellung.
    Ich wandte mich an die deutsche Abordnung: «Haben Sie die Urkunde der bedingungslosen Kapitulation bei sich, haben Sie sie studiert und sind Sie bevollmächtigt, sie zu unterzeichnen?»
    Luftmarschall Tedder wiederholte meine Frage englisch.
    «Ja, wir haben sie studiert und sind bereit, sie zu unterzeichnen», sagte Keitel gedämpft und überreichte uns ein von Dönitz unterzeichnetes Schriftstück. Es besagte, daß Keitel, von Friedeburg und Stumpff bevollmächtigt seien, die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation zu unterzeichnen.
    Das war nicht mehr der überhebliche Keitel, der die Kapitulation des besiegten Frankreichs entgegengenommen hatte. Jetzt sah er geschlagen aus, obwohl er sich Mühe gab, Haltung zu bewahren.
    Ich stand auf und sagte: «Ich fordere die deutsche Abordnung auf, an diesen Tisch zu kommen. Hier werden Sie die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands unterzeichnen.»
    Mit einem feindseligen Blick auf das Präsidium erhob sich Keitel rasch von seinem Platz, dann senkte er die Augen, nahm langsam seinen Marschallstab vom Tisch und kam mit unsicheren
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