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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage
Autoren: Dolores Redondo
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Stierlauf teil, aber er ging die achthundertfünfzig Meter lange Strecke von der Santo-Domingo-Gasse bis zur Stierkampfarena täglich ab, merkte sich jede Kurve, jeden Pflasterstein, jede Stelle, an der man stolpern konnte. Sie mochte seine gute Laune in den Tagen vor dem Fest, wenn er seine weiße Kleidung aus der Truhe holte und ein rotes Tuch kaufte, obwohl er schon unzählige davon besaß. Als sie ihn kennenlernte, lebte er seit zwei Jahren in Pamplona, in einer schönen Wohnung in der Altstadt. Zum Arbeiten hatte er ein Atelier in der Nähe des Rathauses gemietet. Vor ihrer Heirat führte James sie zu dem Haus in der Mercaderes-Straße. Sie fand es wunderbar, nur viel zu groß und viel zu teuer. Aber das war kein Problem für James, der sich zu dieser Zeit in der Kunstwelt bereits einen gewissen Namen gemacht hatte. Außerdem stammte er aus einer reichen Familie, deren Firma in den USA Marktführer im Bereich der Produktion von Arbeitskleidung war. Sie kauften also das Haus, und James richtete in der ehemaligen Werkstatt sein Atelier ein. Sobald Amaia Inspectora bei der Mordkommission wäre, wollten sie dafür sorgen, dass Kinder es mit Leben erfüllten.
    Seit Amaias Beförderung waren nun schon vier Jahre vergangen. Jedes Jahr hatte die Festwoche stattgefunden, jedes Jahr war James noch etwas berühmter geworden, aber ein Kind hatte einfach nicht kommen wollen. Unbewusst legte Amaia eine Hand auf ihren Bauch. Sie ging schneller, überholte eine Gruppe rumänischer Einwanderer, die sich auf der Straße stritten, und lächelte, als sie durch die Gitterstäbe der Eingangstür hindurch erkannte, dass im Atelier noch Licht brannte. Sie sah auf die Uhr: kurz vor halb elf, und James arbeitete immer noch. Sie schloss auf, legte die Schlüssel auf den antiken Tisch, der als Sideboard diente, und ging den Teil zum Atelier entlang, der einst den Eingangsbereich gebildet hatte. Der Originalboden aus großen Kieselsteinen war noch erhalten, ebenso die Falltür, die zu einem zugemauerten Gang führte, in dem früher Wein und Öl gelagert worden waren.
    James säuberte gerade einen grauen Marmorstein in einem Becken mit Seifenlauge. Er lächelte, als er sie sah.
    »Ich muss nur noch schnell diese Kröte hier aus dem Wasser ziehen, dann bin ich bei dir.«
    Er legte den Brocken auf ein Gitter, bedeckte ihn mit einem Tuch und trocknete sich die Hände an der weißen Kochschürze ab, die er immer zur Arbeit trug.
    »Wie geht’s, mein Schatz? Müde?«
    Er legte seine Arme um sie, und wie immer wurde sie schwach. Durch den Pullover hindurch roch sie seinen Duft und brauchte einige Zeit, bis sie antworten konnte.
    »Es geht schon, aber es war ein seltsamer Tag.«
    Er trat einen Schritt zurück, damit er ihr in die Augen sehen konnte.
    »Erzähl!«
    »Es hat sich rausgestellt, dass vor einem Monat schon mal ein Mord passiert ist, und zwar ebenfalls im Gemeindegebiet von Baztán. Offenbar besteht zwischen beiden Fällen ein Zusammenhang.«
    »Und der wäre?«
    »Es handelt sich um denselben Täter.«
    »Um Gottes willen! Das bedeutet ja, dass da draußen eine Bestie rumläuft, die junge Mädchen ermordet!«
    »Die fast noch Kinder sind. Übrigens hat mir der Comisario die Ermittlungen übertragen.«
    »Herzlichen Glückwunsch, Inspectora«, sagte er und gab ihr einen Kuss.
    »Es sind nicht alle so erfreut. Fermín zum Beispiel musste ganz schön schlucken, um nicht zu sagen, er war stinksauer.«
    »Mach dir keine Gedanken, du kennst ihn doch: Er ist in Ordnung, aber er macht gerade eine schwere Zeit durch. Das wird wieder, schließlich mag er dich.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher.«
    »Aber ich. Er mag dich wirklich. Hunger?«
    »Hast du was gekocht?«
    »Na klar! Küchenchef Wexford hat die Spezialität des Hauses zubereitet.«
    »Was soll das sein?«, fragte Amaia lächelnd.
    »Das weißt du nicht? Frechheit! Spaghetti mit Pilzen natürlich. Und dazu eine Flasche Chivite Rosé.«
    »Mach den Wein schon mal auf, ich springe nur noch schnell unter die Dusche.«
    Sie gab ihm einen Kuss und ging ins Bad. Als sie unter dem Strahl stand, schloss sie die Augen und ließ sich das Wasser übers Gesicht laufen; dann legte sie Hände und Stirn an die kühlen Kacheln und genoss das heiße Plätschern auf Nacken und Rücken. Die Ereignisse des Tages waren so plötzlich auf sie eingestürmt, dass sie noch nicht hatte überlegen können, welche Folgen dieser Fall für ihre Karriere oder auch nur den nächsten Tag haben könnte. Ein kühler
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