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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer
Autoren: Ralf Isau
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Zugeständnis an die Jungvermählten durfte Sarah ihn begleiten – aber sie hätte ihn sowieso nicht allein gehen lassen.
    Einige Monate nach Verabschiedung des Potsdamer Abkommens reichte Robert dann seinen Abschied von der Army ein. Die Rückkehr in die Heimat stand nun auf dem Programm – Roberts Heimat, um genau zu sein.
    Sie bezogen ein nettes kleines Holzhaus, nur eine halbe Meile vom Meer entfernt, südlich von Miami. Roberts Eltern wohnten am Rande der Everglades, mit dem Auto schnell zu erreichen. Tom und Rose McKenelley nahmen die Schwiegertochter, die ihr Sohn aus dem Krieg mit heimgebracht hatte, herzlich auf. Und als dann Sarah im Dezember 1946 feierlich verkündete, dass sie ein Kind erwarte, konnte sie nicht sagen, wer sich mehr darüber freute: die Großeltern oder sie selbst.
    Jonas wurde am 3. Juli 1947 geboren. Er war kein sehr großes Baby, aber er hatte eine kräftige Stimme. Endlich konnte Sarah jenes Gefühl der Geborgenheit, nach dem sie sich ein Leben lang gesehnt hatte, an ihr eigenes Kind weitergeben.
    Manchmal tadelte Robert sie ein wenig, weil sie den Jungen kaum eine Minute aus den Augen ließ. Er liebte den kleinen Jonas ja genauso wie Sarah und er wusste natürlich längst, was Geborgenheit für sie bedeutete.
    Als er Sarah Ende Mai von dem Angebot seines Arbeitgebers erzählte, den Militärbasen an der Bahia de Guantanamo auf Kuba und anschließend auf den Bermudainseln einen Besuch abzustatten, reagierte sie zunächst entsetzt. Robert arbeitete inzwischen als Redakteur der Washington Post in Miami. Wegen seiner immer noch guten Kontakte zur Army hatte er den Auftrag erhalten einen Artikel über die Luftwaffen- und Flottenstützpunkte in der Karibik und im Nordatlantik zu schreiben. Sarah war hin und her gerissen. Seit ihrer Heirat war sie nie länger als vierundzwanzig Stunden von Robert getrennt gewesen. Andererseits konnte sie Jonas nicht mit auf die Reise nehmen. Was sollte sie nur tun?
    Nur mühsam konnte Robert ihr das Zugeständnis abringen den kleinen Jonas für acht oder zehn Tage in die Obhut der Großeltern zu geben. Als dann die Stunde des Abschieds gekommen war, wollte die Liste von Sarahs Anweisungen kein Ende nehmen.
    »Du tust ja gerade so, als müssten wir unseren Enkel für sein ganzes restliches Leben versorgen«, fiel Tom ihr schließlich ins Wort.
    »Vielleicht ist es ja so!«, antwortete Sarah. Dem ehemaligen General verschlug es die Sprache.
    »Der Mann, den du so liebst, dass du keinen Tag ohne ihn leben kannst, war auch einmal so klein wie unser Jonas«, merkte Großmutter Rose mit sanfter Stimme an. »Glaubst du denn nicht, dass ich ebenso gut für deinen Sohn sorgen werde, wie ich es damals für meinen eigenen getan habe? Immerhin ist er ja auch mein Enkel!«
    Sarah blickte einige Sekunden lang unschlüssig in das Gesicht ihrer Schwiegermutter. Dann gab sie lächelnd nach.
    »Natürlich wirst du das, Rose. Bitte entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen.«
    Von diesem Tag an hatte Sarah keine ruhige Minute mehr.
    Ganz entgegen ihren düsteren Vorahnungen verlief die Reise zunächst ohne Schwierigkeiten. Die Abende auf Kuba gehörten ihnen beiden ganz allein. Insgeheim genoss sie es, mit Robert am Strand zu liegen oder in einem Restaurant unter Palmen zu sitzen und ungestört zu plaudern. Doch immer wieder stellte sie ihm dieselbe Frage: »Glaubst du, Jonas geht es gut?«
    Der Weiterflug nach St. George auf den Bermudas war alles andere als angenehm. Starke Windböen schüttelten die zweimotorige Propellermaschine unbarmherzig durch und Sarahs Abneigung gegen diese Art der Fortbewegung wurde einmal mehr bestätigt. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, was wohl mit Jonas geschehen würde, sollte ihr und Bob – wie sie Robert nannte – etwas zustoßen. Bisher hatte sie sich nur um das Wohlergehen ihres Sohnes gesorgt, aber was würde aus ihm werden, wenn er als Waise aufwachsen musste? Sie selbst wusste, was das bedeutete. Hitlers »tausendjähriges Reich« hatte es sie gelehrt. Den Gedanken, ihr Sohn müsse ohne die Geborgenheit einer Familie groß werden, empfand sie als unerträglich.
    Dann kam ein Fernschreiben von Roberts Eltern. Die Kürze des Textes ließ die Nachricht noch grausamer erscheinen. Vor allem dieser eine Satz:
     
    heute frueh erhielten wir nachricht von seinem tod – stop –
     
    Sarah reagierte merkwürdig auf diese Botschaft. Zunächst schüttelte sie nur den Kopf, starr vor sich hin blickend. Minutenlang. Sie konnte nicht
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