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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr
Autoren: Curt Siodmak
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Großstadt. Jeder europäische Wissenschaftler muß mindestens einmal in Amerika gewesen sein, um es hier zu Ansehen zu bringen. Komisch .“ Ihr offenes Gesicht erstarrte geistesabwesend.
    „Es ist komisch. Ich glaube nicht, daß wir in Amerika auf manchen Gebieten der Wissenschaft weiter sind als die Europäer.“
    „Nein, ich dachte an das Bild, das ich mir von Ihnen gemacht hatte. Ich erwartete einen Mann mit Brille, Bart, Hawaiihemd und einem auffälligen Sportjackett, um hervorzuheben, daß er noch jung ist. Jungsein ist eine Art Beruf in Amerika, nicht wahr?“
    „Das lesen Sie in Ihren Zeitungen“, sagte ich. „Die Jugend legt gern Nachdruck auf den Generationsunterschied. Es gilt als Zeichen der Unsicherheit, nur mit seinesgleichen zu verkehren.“
    „Ich weiß“, erwiderte sie, wobei sie mich weiter zerstreut anschaute. „Sie haben eine Seite in Wer ist wer in der Wissenschaft . Heinemann hat das nicht geschafft. Das wurmt ihn.“ Ihre Sprache wimmelte von Amerikanismen. „Kein Mensch kann in so wenigen Jahren so viel für die Wissenschaft tun wie Sie. Daraus schloß ich, daß Sie alt sein müßten, aber Sie sind sogar noch jünger als Heinemann.“
    Sie blickte mich an, ohne mich richtig zu sehen, und ihr Verstand zog sich in sein Privatgemach zurück, wo sie mit sich selbst allein war, während der grüne Lidschatten ihre Augen vergrößerte und sie die Lippen konzentriert zusammenpreßte. Dann kehrte Leben in ihre Züge zurück, und ihr Mund wurde wieder lebendig und vollippig. Für sie war ein Mann, der die Wasserscheide seines halben Jahrhunderts erreicht hatte, ein Steinzeitmensch.
    „Ich habe gegen meinen Willen Erfahrungen gesammelt“, sagte ich. „Erfahrungen haben aber auch ihren Nachteil: sie hemmen häufig die Phantasie. Ein Mann, der viel zu wissen glaubt, wird in seiner Suche behindert. Der Anfänger hat mitunter da Erfolg, wo der Fachkundige resigniert.“
    Wieder dieser flirtende, einladende, ihre ganze Fraulichkeit ausspielende Blick.
    „Ich bin überzeugt davon, daß nichts Sie entmutigen kann“, sagte sie schmeichelnd wie jedes Mädchen, wie die Stewardess im Flugzeug, die dem gleichen Ritualstamm der Jugend angehörte. Dieser Stamm hat seine eigene Philosophie, seine eigene Literatur, die merkwürdigerweise, wie Hermann Hesses Bücher, schon vor fünfzig Jahren geschrieben wurde. Ich lebte in einer Welt, die von der Jugend abgelehnt oder, im günstigsten Falle, geduldet wurde.
    „Ich könnte ein halbes Dutzend berühmter Leute nennen, die noch keine dreißig sind“, sagte ich, amüsiert darüber, daß sie mich in die Verteidigung gedrängt hatte.
    Ablehnung ruft Frustration hervor, denn warum würden sonst Minoritäten so verbissen darum kämpfen, in langweilige Gesellschaftsstrukturen einzudringen, die ihnen verschlossen sind? Warum möchten sonst ältere Leute in die Freimaurerlogen der Jugend aufgenommen werden? Auf mich macht ihre Welt, die die von Leuten meines Alters geschaffenen Grundlagen ablehnt, keinen Eindruck. Ist eine, nur eine einzige wertvolle Idee aus ihrem verschwommenen Denken hervorgegangen? Sie haben erkannt, daß die Welt, die wir schufen, auf Heuchelei beruht – und das spricht für sie. Tatsächlich ist vielleicht, in jener Wüste ihrer Leere, dieser Kampf gegen Unaufrichtigkeit der einzig konkrete Angelpunkt, um den sich ihre Welt dreht. Aber die Vernichtung der Heuchelei käme der Vernichtung eben jener Basis gleich, in der die gegenwärtige Welt verankert ist. Ich, David Bolt, hatte die Lösung dieses Grundproblems in der Hand.
    Astrid schien meine Geistesverfassung zu bemerken und sagte hastig das, was ich, wie sie glaubte, gern hören wollte.
    „Mir können Gleichaltrige nicht imponieren. Sie sind zu ichbezogen. Leute unter dreißig kümmern sich nur um sich selbst und interessieren sich nur für ihre eigenen Probleme. Was passiert aber, wenn sie älter werden? Dann müssen sie sich gezwungenermaßen mit dem Gedanken abfinden, daß auch ältere Leute etwas zu der Welt beigetragen haben, in der sie leben.“
    Sie hob die Stimme, die nun kalt und hart klang. Vielleicht hatte eine Liebesaffäre sie verletzt oder sie suchte eine Vatergestalt oder sie wollte vielleicht nur mein Vertrauen gewinnen. Sie hatte Heinemann beim Vornamen genannt. Ich war sicher, daß er in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielte. Wir verließen das rote Backsteingebäude. Autos parkten in dichten Reihen vor einem schier endlosen Blumenbeet. Ein dreißig Meter hoher
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