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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr
Autoren: Curt Siodmak
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Radarturm mit einem schachtelartigen Flachdachhaus auf halber Höhe stand dem Flughafengebäude gegenüber und spähte aus schwarzen Fenstern in alle Richtungen.
    „Ziemlich still, wie?“ stellte ich fest.
    „Und unheimlich!“ Astrid schaute nachdrücklich umher.
    „Über zwei Millionen Leute passieren jährlich diesen Flughafen. Zweitausendfünfhundert Männer arbeiten in diesen Reparaturhallen dort drüben. Eine Halle wurde für die Überprüfung der Triebwerke schalldicht gemacht, und nirgends mehr Lärm! Die Deutschen haben nach dem Krieg die Klappe zugemacht; vorher waren sie recht laut.“
    „Was wissen Sie denn noch vom Krieg?“ fragte ich. „Bei Kriegsende waren Sie ja noch nicht einmal geboren.“
    „Ich war nicht einmal ein Zwinkern in den Augen meines Vaters“, sagte sie. „Die Deutschen bekamen ihren Teil an Lärm ab. 1943 wurde Hamburg zwei Wochen lang bombardiert; achtundvierzigtausend Menschen verbrannten beim ersten Luftangriff zu Asche. Das war genug Lärm, oder etwa nicht? Seitdem sind sie still geworden. Ich hasse Gewalt; mir wird schlecht davon!“
    Sie blieb bei einem Volvo stehen, öffnete den Kofferraum und warf zornig meinen kleinen Koffer hinein. Sie wollte den anderen packen, trat aber zurück, denn sie spürte, daß mir ihre burschikose Unabhängigkeit mißfiel.
    „Sie haben einen flotten Wagen.“
    „Ich habe ihn von einem Freund geerbt“, sagte sie und sah mich aus einem geschminkten Auge an, während das andere im Schatten ihres Haares lag. Ich hatte das Gefühl, daß sie ihre wahren Gedanken vor mir verbarg, und ihr Haar, das ihr Gesicht halb versteckte, versinnbildlichte das.
    „Ich hatte noch nie einen Chauffeur“, sagte ich.
    „Daran werden Sie sich gewöhnen müssen.“ Sie wirbelte fröhlich herum und sprang in den Wagen. „Joseph hat mir befohlen, mich um Sie zu kümmern. Wissen Sie, er ist ziemlich preußisch!“
    Während wir losfuhren, sah ich, daß ein Fiat 850 einen Parkplatz verließ und uns folgte. Meine Befürchtungen kehrten genauso schnell zurück, wie sie verschwunden waren. Im Grunde wußte ich nicht, wer dieses Mädchen war. Heinemann hatte sie geschickt. Wer war dieser Heinemann, den ich noch nie persönlich getroffen hatte? Warum hatte er hartnäckig eine fast einseitige Beziehung zu einem Neurobiochemiker wie mir angeknüpft und fortgesetzt? Mich um meine Veröffentlichungen gebeten, mir Fragen gestellt, die auch jeder andere hätte beantworten können, mich mit sanftem Zwang zum Reagieren gebracht? Und jetzt dieses Mädchen, das sich an mich hängte, als würde es mich schon seit Jahren kennen.
    Ich mußte sorgfältig darauf achten, mich von den Leuten fernzuhalten, die mich und meine Arbeit bespitzeln wollten.
    Aber wer konnte in mein Gehirn eindringen, in dem mein Geheimnis so sicher aufbewahrt war wie in einem unzugänglichen Panzerschrank?

4
     
    Es gibt einen Augenblick der Gewichtlosigkeit – kurz bevor ein Flugzeug aufsteigt – in denen ich unter einem schwindelerregenden Gefühl der Unsicherheit leide. Astrids Fahrweise erinnerte mich lebhaft daran.
    „Wenn dieser Wagen Flügel hätte, würden Sie von der Straße abheben“, sagte ich, in der Hoffnung, sie würde die Geschwindigkeit verringern. Aber meine Worte hatten die entgegengesetzte Wirkung.
    „Wir sollten Flügel haben“, erwiderte sie. „Wir alle. Ich möchte fliegen, emporsteigen, auf und davon …“
    Sie wandte sich mir zu und lächelte, wobei sie den feuchten Glanz kleiner Raubtierzähne und die rötliche Fülle des Zahnfleischs entblößte. Das Lächeln verlieh ihr zusätzliche Wildheit.
    „Fahren Sie langsamer. Lassen Sie uns nicht zusammen sterben.“
    „Na schön! Lassen Sie uns dann zusammen leben“, entgegnete sie sofort. Einige Sekunden danach, versuchte sie ihre Bemerkung abzuschwächen. „Wir Schweden sind in unserem Land eingeschlossen, und dabei laufen und laufen und laufen wir so gern wie ein Tier, das in einem Käfig eingesperrt gewesen ist.“
    „Ist das ein nationaler Charakterzug?“
    „Was würden Sie empfinden, wenn Ihre Zukunft kein Geheimnis mehr besäße? In Schweden gibt es für einen Schweden keine Überraschungen mehr. Schon vor seiner Geburt wird sein Leben von der Regierung festgelegt. Wie kann man ein Leben aushalten, wenn man weiß, was morgen, im nächsten Monat, im kommenden Jahr geschehen wird? Das ist einfach fürchterlich!“
    „Haben Sie deshalb Schweden verlassen?“
    „Jeder Schwede hat seinen Paß griffbereit, um jederzeit
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