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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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Bellevue-Abend auch mit einander geschlafen, haben wir nicht. Also erfüllen wir Ihren Anspruch: Wir sind ein Liebespaar. Das sind wir wahrhaftig, eben weil wir nicht mit einer solchen Beischlaf-Statistik herumhampeln, die bei Ihnen das einzige Material für Erkenntnisgewinn ist. Ein kleines Beileid darf hier sein.
    Ich musste nachher Korbinian alles aufsagen, was ich zu seinem Lob an diesem Abend noch gehört habe. Wir konnten nicht einander an der Hand nehmen und davonschleichen wie Sie. Im Vorsaal gibt es die ellbogenfreundlichen Tischchen ja nur, dass alle, die im Großen Saal den Mund halten mussten, jetzt endlich sagen können, was sie zu sagen hatten. Da wurde ich natürlich zum Abladeplatz für Korbinian-Lob. Ich habe es ihm eine halbe Nacht lang wortgenau berichten müssen, immer dazu die Qualifizierung, die Glaubwürdigkeit.
    Nicht verschweigen durfte ich, dass es Zeitgenossen gibt, die das Loben eines Ehemanns benutzen, um mit seiner Frau anzubändeln. Je kälter ich solchen Avancen begegnete, desto heißer wurden die Herren. Aber meine Kälte war kein solches pro eo hoc … Sie war echt. Soweit an einem solchen Abend etwas echt sein kann. Das allerdings ist ein Anspruch, der jeden und jede überfordert. Mich ganz bestimmt.
    Weil ich das gesagt habe, muss ich das andere auch noch sagen. Ließ ich’s weg, hätten Sie ein schiefes Bild von uns. So weit haben Sie mich mit Ihrem Unterstellungs-Köder gebracht. Ich hoffe, Sie spüren meinen Unmut! Und folge: Die eine Hälfte der Nacht das Zitieren allen Lobs. Danach aber das reale Elend: Korbinian musste alles aufrufen und aufzählen, was er bei seiner manuskriptfreien Rede, auf die er mit Recht stolz ist und stolz bleibt, was alles er da vergessen hat. Was er vergessen und was er nicht richtig, nicht ganz richtig dargestellt hat. Nahezu Angstschweiß brach ihm aus, weil er, was er Bert Sakmann zu verdanken hat, nicht genügend herausgebracht zu haben glaubt. Die Ionenkanäle! Entdeckt hat die doch Sakmann, Korbinian hat anwendungstechnische Folgerungen daraus gezogen. Eben seine Medikamente nach Maß für Nerven- und Gefäßkrankheiten. Es ist mir nicht gelungen, ihn zu beruhigen, erst als ich vorgeschlagen habe, dass wir ein paar Kenner, die da waren, fragen würden, wie sie das beurteilten, sanken wir einander in die Arme und schliefen ein. Dass er ein gefallener Engel ist, geht ihm nach. Tag und Nacht. Ich bin als Theologin dazu da, die verheerende Wirkung zu mildern, die die reine Wissenschaft immer noch hat. Eben der gefallene Engel! Das schlechte Gewissen! Er wird nie aufhören, sich zu schämen für die Unmengen Geld, die seine Patente und Medikamente auf seine Konten spülen. Obwohl ich diese Empfindlichkeit kein bisschen teile, liebe ich ihn dafür, dass er sie hat.
    Freundlich grüßend,
Maja Schneilin

    PS: Dass Sie die Festschrift nicht erwähnen, heißt für mich, Sie haben sie nicht mitgenommen. So eilig hatten Sie’s, ein Fest zu verlassen, das nicht zu Ihren Ehren veranstaltet wurde. Das aber lasse ich Ihnen nicht durchgehen. Die Festschrift wird Ihnen geschickt. Von der Liebe zur Genauigkeit! Korbinian hat Furchtbares mitgemacht, weil unter den Beiträgern zur Festschrift kein einziger Nobelpreisträger ist. Und dass Korbinian mehr wahrnimmt, als Sie ihm zutrauen, hat er bewiesen. Dass Sie eilig an uns vorbeigeschlichen sind, hat er bemerkt und hat mich, als wir den Abend durcharbeiten mussten, gefragt, wie der braungebrannte Herr Schlupp auf seine Rede reagiert habe. Was sollte ich darauf sagen! Dass Sie und ich einander in dieser Hinsicht glichen, kam tatsächlich bei ihm vor. Aber mit Recht ganz arglos. Von mir weiß er, dass ich mein trügerisch gesundes Aussehen allein unserem riesigen Garten verdanke, dem ich mehr Zeit widme, als ich dürfte. Noch einmal:
    Maja Schneilin,
die sich darüber wundert, dass sie Ihnen all diese Auskunft erteilt hat.

4
    Verehrte Frau Schneilin,
    so darf ich Sie jetzt nennen, da dieser Name Ihnen nicht von einem Mann draufgepappt wurde, sondern ursprünglich Ihrer ist. Ihr Vorname verdient es nicht, weggelassen zu werden. Maja. Wenn ich noch einen Roman schreiben sollte, müssten Sie damit rechnen, dass ich die Hauptperson Maja nennen möchte.
    So oft wie Ihren Brief habe ich noch nie Geschriebenes gelesen. Diese Handschrift auf diesem Papier! Ich weiß, dass Sie das nicht für Ihre Adressaten (wahrscheinlich unzählige) anfertigen, aber da ich selber viel lieber mit der Hand als mit der Tastatur schreibe,
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