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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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einem Buch, über das ich nichts erfahren darf. Da mir sogar jede Erwähnung dieses Projekts verboten wurde, wundere ich mich darüber, dass ich es Ihnen gegenüber erwähne. Ihre Wirkung!
    Ich mache keinen Versuch, mir Ihre Wirkung zu erklären. Dass ich Ihnen Belege für Ihre Wirkung gebe, kann ich nicht vermeiden. Nach so viel Geständnis darf nicht fehlen die Mitteilung, dass Iris und ich nach dem Bellevue-Abend mit einander geschlafen haben. Dass wir eine Liebes-Ehe leben, lehrt mich eine Erfahrung, die einem Schriftsteller vielleicht deutlicher wird als einer Theologin oder einem Molekularbiologen. Solange man jede Woche zweimal mit einander schläft, kann von Liebe nicht die Rede sein. Bitte, es mag Liebe vorkommen bei erfüllungstüchtigen Paaren, nur, man kann es nicht wissen. Oft haut ja dann auch einer ab, dann weiß man, dass es nicht Liebe war, was die Nähe produzierte. Erst wenn das Geschlechtsleben nachlässt, aber das Gefühl nicht, erst dann empfiehlt es sich, das, was jetzt die Nähe produziert, Liebe zu nennen. Ich höre auf und hoffe, dass ich Ihnen diesen Brief, wenn ich ihn morgen lese, doch noch schicken kann.
    Ihr
Basil Schlupp

3
    Lieber Herr Schriftsteller,
    (wenn ich Frau Professor bin, sind Sie ein Herr Schriftsteller), das ist bei Ihnen zu lernen: Man kann etwas tun, ohne zu wissen, warum. Allerdings, eine Art Grund dafür, dass ich Ihren Brief beantworte, also ein Warum für meinen Brief finde ich doch: Ihre Art, an meinem Namen herumzudoktern. Und das erstaunlich erfolgreich. Ich bin tatsächlich eine geborene Schneilin, aber keine inzestuöse Schwester, sondern eine Cousine zweiten Grades.
    Sie wollten nach Indien und haben immerhin Amerika entdeckt. Weniger erfolgreich sind Ihre Beobachtungen meiner «zierlichen Lachexplosionen». Wenn Ihnen eine Frau, eine Hirnforscherin, erzählen würde, dass ihre dritte Scheidung sie fast alle ihre Schallplatten gekostet habe, wie würden denn Sie da reagieren?
    Ich merke, dass ich neben einem Konversationsvirtuosen sitze. Der weiß, wie seine Nummern wirken. Wenn sie bei mir nicht wirken, könnte er an sich zu zweifeln beginnen. Ich muss ihm bestätigen, dass seine Nummern gut sind. Da hatte er doch einen Mann zu begutachten, der seine Frau umgebracht hat und als Motiv nur angeben konnte: Sie hat nie die Zahnpastatube von hinten nach vorne gedrückt, es war furchtbar. Und vor noch nicht zwei Wochen war er bei Freunden eingeladen, da zeigte ein Mann auf seine Frau und sagte: Sie hat vierzig Jahre lang die Tomaten geschält für den Salat. Die Frau steht auf, sagt: Arschloch, und verlässt den Raum. Der Mann sagt: Das war ein Kompliment. Und die Frau von der Tür her: Stimmt. Wenn der Hirnforscher gesagt hätte, neuere Diagnosemethoden zeigen, dass das neuronale Korrelat von bestimmten religiösen Zuständen ein epileptischer Prozess in einer bestimmten Hirnregion ist, dann hätte ich etwas zu sagen gehabt, aber auf seine Geschichtchen hat man wirklich lachen dürfen. Gerade Theologen und noch mehr Theologinnen müssen zeigen, dass sie zu allem auch noch lachen können. In solchen Situationen bin ich anstrengungslos professionell. Größte Serenität empfiehlt uns evangelischen Theologen der Lehrer aller Lehrer. Den Sie (natürlich) nicht kennen. Nur dass der Name einmal an Ihrem überlasteten Bewusstsein vorbeigerauscht ist: Karl Barth.
    Der Hirnforscher, das muss ich jetzt doch zugeben, hat mich dann doch auch noch mit einem Satz beeindruckt, den er angeblich zu seiner Frau gesagt hat: Wir hätten unsere Mängel auf mehr als zwei Kinder verteilen sollen. Für einen Hirnforscher doch gar nicht so schlecht. Ich habe versäumt, ihm mit Korbinians Satz zu antworten: Kinder sind Attentate der Natur.
    Dass Ihnen mein Lachen überhaupt auffiel, heißt für mich, Sie haben das Unangebrachte dieses Lachens gespürt. Ich war nicht gut. Und schon ruf ich mich mit Lukas zur Ordnung: Weh euch, die ihr jetzt lacht. Das trifft mich mehr als die «zierliche Lachexplosion». Wie soll denn das gehen?! Herr Schriftsteller! Fragt Sie eine, die darauf angewiesen ist, dass Sprache befragbar bleibt. Und wenn Sie meine christlich-bürgerliche Zuwendung zum Hirnforscher nicht billigen wollen, bilanziere ich für Sie: Er ist nicht mein vir desiderorum. Der heißt nämlich, wie Sie erlebt haben, Korbinian.
    Noch zu Ihrer Beischlaf-Statistik: Mein Gefühl sagt mir, dass Sie, wenn ich jetzt davon nichts erwähnen würde, glaubten, Korbinian und ich hätten nach dem
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