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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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gemeldet. Mit Hausnummer. Es war die Absinth-Bar Druide, bis zu der Iris ihn immer geschoben hatte.
    Ich fand Iris droben auf unserer Dachterrasse. Sie saß vor dem Kamin und fütterte das Feuer mit den Seiten eines Manuskripts. Blatt für Blatt warf sie in die Flammen.
    Du hast es gelesen, sagte ich und brachte damit, was sie tat, in einen Zusammenhang mit der Meldung, die ich gerade gelesen hatte.
    Iris nickte.
    Ich setzte mich neben sie.
    Ich sagte: Der Dramaturg. Und zeigte nach oben.
    Ich blieb bei ihr sitzen, bis sie auch das letzte Blatt den Flammen anvertraut hatte.
    Schau, sagte sie.
    Auf einem sonnenlichthellen DIN-A4-Pergament stand mit schwarzem Filzstift: Dir bin ich dankbar. Dein Beatus.
    Wir saßen lang, unsere vier Hände in einander.
    Dann kamen noch am gleichen Tag dieser Brief und diese Kopie:
    Berlin, 29. August 2011
Lieber Herr Schlupp,
Maja Schneilin hat, bevor wir den Dempster Highway in Angriff nahmen, zu mir gesagt: Wenn mich die Bären fressen, erzählst Du’s Basil Schlupp.
Dann passierte, was sie nicht voraussehen konnte. Aber was sie mir sagte, als Herr Schneilin nicht dabei war, sagt mir, dass ich Sie informieren darf oder sogar muss. Was passierte, ist ganz schlimm.
Für mich.
Ich habe mich, falls Sie das noch interessiert, bei Ludwig Froh beworben. Ich hatte Glück. Sein Fahrer war gerade wegen Alkohol aus dem Verkehr gezogen worden. Ich könnte im September bei ihm anfangen. Beim Vorstellungsgespräch sagte er: Jemand aus dem Haus Schneilin sei ihm immer willkommen.
Vielleicht sehe ich Sie einmal. Ich gehe zurück auf die Straße: Das Reich Gottes wartet.
    Für heute: Gott befohlen,
Ihr
Roderich Wegelin
    Eagle Plains, 27. August 2011
Lieber Roderich,
die Zeit, die mein Professor mir gegeben hat, ist fast vorbei. Maja will, sagt sie, bei mir bleiben, also nehm ich sie mit.
Den Rest regelst Du.
Dafür ist alles vorbereitet.
Es grüßt Dich Dein Dir immer ergebener Chef
    Korbinian Schneilin

    Iris saß immer noch droben. Ich ging hinauf. Sie zeigte auf die Glut.
    Die Glut, sie atmet wie ein Tier, sagte sie.
    Obwohl ich wissen konnte, was sie verbrannt hatte, fragte ich: Was hast du verbrannt?
    Und sie: Das 13. Kapitel.
    Und ich, plötzlich vom Leben ergriffen: Schenkst du mir den Titel?
    Gern, sagte sie und legte ihre Hände mir aufs Knie.

[zur Inhaltsübersicht]
    Anhang
    S. 217f.: Hin und wieder traf Buck auf Hunde aus Southland, doch meist auf die wilden Mischungen aus Wolf und Husky. Jede Nacht, pünktlich um neun, zwölf und drei Uhr, erhoben sie die Stimmen zu einem nächtlichen Gesang, einem unheimlichen und schauerlichen Chor, in den Buck voller Lust einstimmte.
    Mit den kalt über den Köpfen leuchtenden Polarlichtern oder den Sternen, die in frostigem Tanz zitterten, mit dem hartgefrorenen, unter seinem Leichentuch aus Schnee fühllosen Boden hätte der Gesang der Huskys lebensverachtend sein können, aber er war in Moll gestimmt und das lang hingezogene Heulen, das halbe Schluchzen eher ein Bekenntnis des Lebens, eine sich artikulierende Schwere der Existenz. Es war ein altes Lied, alt wie die Rasse selbst – eines der ersten Lieder der Neuen Welt, eines aus jener Zeit, als Lieder noch traurig waren. Es war besetzt vom Leid unzähliger Generationen, dieses Wehklagen, das Buck so eigenartig anrührte. Wenn er stöhnte und schluchzte, dann mit dem Schmerz des Lebens, dem alten Schmerz seiner wilden Vorväter, als die Mysterien und die Angst vor Kälte und Dunkelheit auch ihre Mysterien und Ängste gewesen waren. Und das, was ihn dermaßen aufwühlte, machte deutlich, wie vollkommen er sich den Zeiten des Feuers und des Daches hingab, bis hin zu den rohen Anfängen des Lebens in den Zeiten des Heulens.
    Sieben Tage nachdem sie in Dawson eingelaufen waren, stürzten sie das steile Ufer bei den Barracks hinab zum Yukon Trail und zogen weiter Richtung Dyea und Salt Water.
     
    Seite 232f.: All die aufgewühlten alten Instinkte, die die Menschen zu gewissen Zeiten aus ihren lauten Städten hinaus in die Wälder und Ebenen ziehen, um da irgendwas mit chemisch getriebenen Bleikugeln zu töten, die reine Blutrunst, die Freude am Töten – all das, nur unendlich viel inniger, war Buck. Im Rudel ordnete er sich ganz vorn ein, hetzte das Wild bis zur Erschöpfung, das lebendige Fleisch, um es mit eigenen Zähnen zu töten, um seine Schnauze bis zu den Augen hinauf im warmen Blut zu baden.
    Es gibt eine Ekstase, die den Höhepunkt des Lebens markiert, und jenseits ihrer ist keine
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