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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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spricht er. Allerdings hat er jetzt auch nichts mehr dagegen, dass Roderich dabei ist. Vorgestern hat er ihn sogar gefragt, was man sich unter dem Reich Gottes vorzustellen habe. Roderich sah mich an, als könne er in Anwesenheit einer Theologin eine solche Frage nicht beantworten. Ich sagte: Roderich, ich bin gespannt.
    Roderich sagte, es gebe kaum etwas in der Heiligen Schrift, das weniger bestimmt sei als das Reich Gottes. Für ihn heiße das: Du bist es, der sagt, was es ist. Zum ersten Mal sei in der Bibel im Zusammenhang der Deutung des Nebukadnezar-Traums davon die Rede, also im Buch Daniel. Dass der Gott des Himmels ein Reich errichten werde, das dauerhafter sei als alles Bisherige. Das ist eben das, was Nebukadnezar geträumt hat, dass ein Standbild, groß und reich und wie für immer, einfach zerfällt. Dagegen das Reich Gottes.
    Korbinian sagte eine Zeit lang nichts, trank aber sein Bierglas leer, ließ nachschenken, dann sagte er: Roderich, ich wollte dich immer schon fragen, was der Ausdruck Reich Gottes bedeutet.
    Roderich sah wieder mich an. Ich sagte: Das verschieben wir bis nach dem Essen.
    Ich hätte diesen eigenartigen Moment wieder vergessen, aber gestern Abend passierte Folgendes: Der Ober serviert uns, was Korbinian bestellt hat. Lachs. Lachs ist ohnehin auf jeder Karte im Yukon-Territorium die Hauptspeise. Der Ober wünscht guten Appetit und geht weg. Wir fangen an zu essen, Korbinian spuckt den ersten Bissen gleich wieder auf den Teller. Dann ruft er den Ober zurück. Der kommt, Korbinian sagt: Wer hat das bestellt? Das kann ich doch gar nicht essen.
    Der Ober gibt höflich zu verstehen, dass Korbinian selber Graved Lachs mit sour cream bestellt habe. Dazu French fries.
    Korbinian sagte: Das nehmen Sie zurück. Als der Ober nach dem Teller greift, sagte Korbinian: Nicht den Lachs. Dass Sie behaupten, ich hätte Graved Lachs bestellt, das nehmen Sie zurück.
    Der Ober sah mich an.
    Ich warte, sagte Korbinian, und das mit einer Handbewegung, die eindeutig Ludwigs Handbewegung war, wenn er in einem Lokal ausholte, den Ober zurechtzuweisen oder zu belehren. Ich warte, sagte Korbinian noch lauter. So laut, dass auch andere Gäste aufmerksam wurden. Sie nehmen zurück, dass ich Graved Lachs mit sour cream und French fries bestellt habe. Das habe ich nämlich nicht bestellt, und das werde ich nie bestellen. Und denen in der Küche melden Sie: Ich würde Graved Lachs nie mit French fries, sondern immer mit baked potatoes bestellen. Die allerdings mit sour cream. Und sagen Sie dazu: Das hat ein Gast gesagt, der sein Geld selber verdient hat.
    Ich erschrak und nickte dem Ober hastig zu, um ihm zu bedeuten, er möge dieser komischen Bitte entsprechen. Und er entsprach und entschuldigte sich dafür, dass ihm dieses Missverständnis passiert sei, und er werde es in der Küche melden. Und weil ich immer die Bezahlung übernehme, sagte Korbinian jetzt zu mir: Solltest du bezahlen, was wir weder bestellt noch gegessen haben, so wirst du diesem Strolch kein Trinkgeld geben! Es reicht, dass er mir den Appetit verdorben hat. Stand auf und ging. Ich sagte zu Roderich, er solle alles regeln, und rannte Korbinian nach.
    Drüben in unserem cabin saß er auf dem Bett und fragte, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er jetzt ein Zigarillo rauche. Ich wagte es nicht, mich zu wundern. Vielleicht rauch ich eins mit, sagte ich. Und dazu einen Whisky, sagte er. Und schenkte ein.
    Wir saßen nicht bequem, aber nach dem dritten oder vierten Glas waren wir in einer Stimmung, die ich, nach dem, was vorgefallen war, nicht mehr für möglich gehalten hätte.
    Er fragte jetzt sogar: Maja, willst du bei mir bleiben?
    Er fragte das in einem so innigen Ton, dass ich darauf im selben Ton antworten konnte, antworten musste: Korbinian, immer. Und wenn das nicht reicht: Ewig!
    Ich danke dir, sagte er, stand auf und sagte, jetzt habe er nicht nur Appetit, sondern regelrecht Hunger. Ob wir denn heute ohne Dinner einschlafen müssten. Die Lodgewirtin sehe doch so aus, als könne sie kochen. Komm!
    Wohin, sagte ich.
    Hinüber ins Restaurant, sagte er.
    Ich sagte: Lass uns doch hier auf dem Zimmer essen. Er stand schon an der Tür und sagte: Liebe, in dieser Enge ess ich nicht.
    Also blieb nichts, als ihm zu folgen. Was der Ober dachte, was die anderen Gäste sich dachten – ich weiß es nicht. Korbinian bestellte Lachs, Graved Lachs mit sour cream und French fries. Der Ober nahm die Bestellung entgegen, ohne das Gesicht zu verziehen. Als das
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