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Das Dornröschen-Projekt - Krimi

Das Dornröschen-Projekt - Krimi

Titel: Das Dornröschen-Projekt - Krimi
Autoren: Random House
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mit Todesverachtung in U-Bahn, S-Bahn oder Bus, er hasste es, fremdbestimmte Transportmittel zu benutzen.
    Ülcans Büro bestand aus einem dunkel gebeizten Monsterschreibtisch, angeblich Jugendstil, dessen Platte, soweit nicht Zeitschriften und Papiere sie bedeckten, von Brandflecken übersät war. Hinter dem Schreibtisch saß ein kleiner Mann mit einem eckigen Gesicht und einem mächtigen Schnurrbart, so schwarz wie die kurz geschnittenen Haare und die kräftigen Augenbrauen. Die Wangen waren leicht eingefallen, die großen Augen verschickten Zornesblitze, und die Zigarette in seinen nikotinbraunen Fingern verpestete die ohnehin verpestete Luft nur noch unwesentlich. Das wenige Licht, das von außen eindrang, wurde durch Rauchschwaden gedämmt. An der Wand gegenüber dem Schreibtisch hing ein Kalender von 1992 mit einem Bild von Istanbul bei Nacht.
    Keiner der beiden würdigte Matti eines Blicks, als er das Büro betrat. Detlev beugte sich gerade über den Schreibtisch, die Hände auf die Kante gestützt, und blaffte: »Quatsch. Das ist ein Arschloch, das weißt du doch!«
    »Du bist ein Arschloch!«, sagte Ülcan. »Der Mann ist ein Stammkunde, und wenn er sich beschwert, dann hat er recht.« Er sprach gut Deutsch, aber mit einem harten R, das Matti jetzt an den Typen erinnerte, den er am Sony Center abgesetzt hatte. Die Wut meldete sich zurück. Ülcan würde auch kein Trinkgeld geben, nicht mal dem Propheten, dachte Matti. Aber er würde niemanden körperlich angreifen.
    »Der Idiot behauptet, über die Pacelli gehe es schneller, und das ist Quatsch …«
    »Und warum fährst du nicht …«
    »Weil ich schon in der Clay war. Der wollte nur nicht den vollen Preis bezahlen. Und für den Scheißstau kann ich nichts«, maulte Detlev. Er schüttelte seine rote glatte Mähne, wie er es immer tat, wenn er sauer war. Dann war seine bleiche Gesichtsfarbe fast transparent, und die Sommersprossen glühten.
    »Ich ruf ihn an«, sagte Ülcan. »Und jetzt hau ab.« Er blies eine Qualmwolke über den Tisch.
    Detlev stand noch ein paar Augenblicke in Drohhaltung, und Matti überlegte, ob der Kollege über die Platte greifen würde, um Ülcan zu würgen. Doch Detlev schnaubte nur und wandte sich ab. Grußlos verließ er das Büro, Matti schenkte er keinen Blick.
    Ülcan brummte irgendwas, in dem Allah vorkam und wahrscheinlich auch der Prophet, kratzte sich an der Backe und sagte, während er zum Fenster hinausblickte: »Ihr seid mein Untergang. Der Einzige, der diesen Scheißladen über Wasser hält, bin ich … und Aldi-Klaus.« Das war der dritte Fahrer, der zum Stamm gehörte. Sonst gab es noch Aushilfen, aber die wechselten ständig, weil sie zu faul waren oder mit dem Chef nicht klarkamen oder wegen beidem. Ülcan war der übellaunigste Chef, den man sich denken konnte. Aber wenn man sich an ihn gewöhnt hatte, konnte man es aushalten, zumal seine Fahrer ihn nur kurz sahen. Immerhin bezahlte er regelmäßig, wenn auch erbärmlich: dreißig Prozent der Einnahme.
    Ülcan schaute Matti tranig an, aber er sagte nichts. Er hatte seinen Zorn schon an Detlev ausgelassen, und Mattis Antwort war so voraussehbar wie Ülcans Geraunze, dass faule Fahrer ihm das Geschäft ruinierten, was Matti gelassen zu kontern pflegte. Er nannte einfach eine Zahl, nämlich die Tage und Stunden, die er für andere eingesprungen war. Matti hängte den Schlüssel ans Brett neben der Tür, betastete die Taschen seiner blauen Jeansjacke, verkniff sich einen Fluch und nahm den Schlüssel wieder. Er ging hinaus zum Wagen, schloss die Fahrertür auf, holte seinen Tabak aus der Ablage, und als er die Tür zuschlug, sah er im Augenwinkel etwas Ledernes auf dem Boden hinter dem Fahrersitz stehen. Er öffnete die Hintertür und entdeckte eine dunkelbraune Aktentasche, alt, an manchen Stellen glänzend, mit schwarzen Striemen. Matti betrachtete die Tasche, und erst dachte er nur, dass er sie Ülcan geben sollte, damit der sie dem Besitzer aushändigen konnte, da der sich gewiss melden würde. Doch dann kroch ihn eine andere Idee an. Vielleicht lag in dieser Tasche etwas, das … Die gehörte mit Sicherheit diesem Mistkerl. Er bewegte die Schulter und spürte immer noch einen leichten Schmerz. Die Tasche begann nach ihm zu greifen. Er musste wissen, was darin war. Matti setzte sich auf die Rückbank und stellte die Aktentasche neben sich. Er hatte ein blödes Gefühl. Ülcan saß immer noch im Büro, es war auch unwahrscheinlich, dass er es gerade jetzt verließ.
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