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Das Dornröschen-Projekt - Krimi

Das Dornröschen-Projekt - Krimi

Titel: Das Dornröschen-Projekt - Krimi
Autoren: Random House
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geblieben, wie es war.
    »Hast du eine Visitenkarte?«, fragte er mit rauer Stimme, als er nahe am Eingang gehalten hatte. Vor dem Kühler staute sich eine Horde Rucksack tragender Jugendlicher, von denen einer an seiner Kapuze zerrte; eine schrille Pfeife ertönte.
    Er beobachtete, wie sie in ihrer Handtasche kramte, zögerlich, wie ihm schien, als müsste sie nachdenken, und es ärgerte ihn. Sie reichte ihm endlich eine beigefarbene Karte, eine überdimensionierte Leinenimitation, darauf der Name in einer Pseudo-Times. Dr. jur. Roswitha Rakowski, Vertragsrecht/Vermögensrecht . Der Name ihres Chefs – Anwaltskanzlei Dr. Müller-Kronscheidt und Partner  –, dann die Anschrift – Kurfürstendamm 112a, 10711 Berlin  – und schließlich Telefonnummer, Website und E-Mail. Er legte die Karte in die Ablage vor dem Automatikwahlhebel zu anderen Visitenkarten und seinem Päckchen Schwarzer Krauser. Die Rucksackhorde löste sich auf in einer Flucht zum Haupteingang. Hinter der nächsten Ecke lauerte versteckt Mehdorns Gaul, der sich um seinen Magen krümmte, als habe er in der Nacht zuvor zu viel gebechert. Matti nahm seine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Hemds und reichte sie ihr nach hinten, als sie schon ihre Hand am Türgriff hatte. Sie zögerte, dann nahm sie die Karte, die sein Billigtintendrucker eher verunziert hatte. Er schämte sich ein bisschen für die am Rand verlaufenen blauen Buchstaben seines Namens. Sie warf einen Blick auf die Karte, ihr Gesicht straffte sich einen Augenblick, und es schien, als würde sie insgeheim seufzen. Jetzt sah er, dass sie nur einen leichten Mantel über dem Unterarm trug. »Ich bring dich zum Eingang, warte eine Sekunde.« Sie steckte die Karte in ihre Handtasche.
    Er stieg aus, öffnete den Kofferraum, nahm seinen Knirps und ließ ihn aufspringen. Dann trat er an die Tür, öffnete sie, während er den Schirm darüber hielt. Es nieselte nur noch, und der Wind hatte nachgelassen. Sie stieg aus, er warf die Tür zu und brachte sie zum Eingang. Ihre Schulter streifte seinen Oberarm, und sie warf ihm einen Blick zu. »Du hast dich gar nicht verändert«, sagte sie, und ihr Gesicht verriet, dass sie es besser nicht gesagt hätte.
    An der Tür erschrak sie: »Ich habe noch nicht bezahlt.«
    Er lachte. »Das holen wir nach!«
    Und bevor sie etwas erwidern konnte, ging er mit langen Schritten zurück zu seinem Taxi. Sie zögerte, schüttelte ratlos den Kopf und verschwand nach einem hektischen Blick auf ihre Armbanduhr im Bahnhofsgebäude.
    Er saß eine Weile auf dem Fahrersitz, dann steuerte er den Benz in die Warteschlange auf dem Europaplatz. Das gab ihm Zeit nachzudenken. Er nahm das Zigarettenpapier und den Schwarzen Krauser und füllte das Papier mit Tabak, um es routiniert zu drehen, zu lecken und zu verkleben. Er stieg aus dem Auto, es nieselte noch, und ihn fröstelte gleich. Er schlenderte auf und ab zwischen Heck und Mercedes-Stern, zündete mit einem Einwegfeuerzeug die Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Er hielt eine Weile die Luft an, bis der Schwindel sich meldete, dann blies er langsam aus.
    Er hatte sie Lily genannt, damals. Sie hatte diesen Namen gehasst, aber zunächst ertragen, als er ihr erzählte, woher er ihn hatte. Er hatte Fotos gemacht von ihr, kurz nachdem er sie kennengelernt hatte, mit und ohne Kleidung, und die besten Bilder hatte er in seinem WG -Zimmer an die Wand über dem Schreibtisch gehängt. Pictures of Lily , so hieß ein Who -Song über feuchte Träume eines Jungen, der Bilder einer schönen Frau sammelte, das passte gut, und irgendwann gefiel es ihr sogar. Später schickte sie ihm eine Postkarte aus Südfrankreich, unterschrieben mit »Lily«.
    Er wurde wehmütig. Wo hatte er die Fotos gelassen? Als sie zusammengezogen waren, hatte er sie ein- und nicht mehr ausgepackt. Und als sie nach ein paar Wochen abgehauen war, da wollte er sie nicht mehr sehen, schon gar nicht auf diesen Bildern. Sie hatte nur ein paar Tage gebraucht, um in sein Leben einzudringen, und er spürte jetzt, dass er sie nie losgeworden war. Als sie gegangen war, war es die Befreiung gewesen aus einem irrwitzigen Chaos, das sie mit ihrer außerirdischen Energie anrichtete, selbst ihr Schlaf war unruhig gewesen. Aber sie war verstörend intensiv, direkt und konnte unglaublich zärtlich sein, sie reizte alle seine Sinne, bis es wehtat. Der Gedanke an sie erregte ihn. Und er hatte gedacht, er könnte sie vergessen. Er lachte trocken, nahm einen kräftigen Zug und
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