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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus
Autoren: Lesley Turney
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Stimme Lieder, deren Texte ich nicht verstand, die mich aber dennoch traurig stimmten.
    Nachdem sich die drei Frauen zurückgezogen hatten, machten John und ich noch einen Spaziergang zum Fluss. Der Vollmond schien so hell, dass die Bäume und unsere Gestalten Schatten auf das grasbewachsene Ufer warfen. Eulen heulten in den Bäumen. Mir war, als wäre Ellen da, als würde sie neben uns spazieren, alles wissen und verstehen.
    »Du wirst sehen, von nun an wird es dir besser gehen«, sagte John, und ich erwiderte: »Ja, ich weiß.«
    Ich bückte mich, um einen Kieselstein aufzuheben. Dann schleuderte ich ihn aus dem Handgelenk von mir, wie Jago es mir gezeigt hatte, und ließ ihn über das Wasser hüpfen. Er sprang drei Mal wieder hoch.
    »Ich wünschte, es wäre anders ausgegangen für Ellen«, sagte ich.
    John sagte »Hm!«, und dann: »Aber Kirsten ist das wunderbarste Vermächtnis, das sie hinterlassen konnte.«
    »O ja, das stimmt.«
    John versuchte ebenfalls, einen Stein springen zu lassen. Aber er plumpste ins Wasser, ohne aufzuhüpfen. Ich suchte einen flacheren Stein für ihn.
    »Wie geht es Charlotte?«, fragte ich.
    »Gut. Sie war bester Laune. Sie hat im Internet einen Urlaub gebucht.«
    »Für sie allein?«
    »Nein.« John drehte den Stein in der Hand. »Nein, für uns alle. Sie meint, es tue uns sicher gut, wenn wir mal wieder einige Zeit miteinander verbringen.«
    »Oh.«
    »Eine kleine Ferienanlage in der Türkei. Ich wollte schon immer mal in dieses Land. Dort gibt es ein paar großartige Ausgrabungsstätten.«
    »Das freut mich.«
    »Charlotte wird sich bestimmt zu Tode langweilen, wenn ich sie von einem archäologischen Fundort zum nächsten schleppe«, sagte John. »Sie wird herumnörgeln und sich beschweren, und schließlich werde ich zur Wiedergutmachung gelangweilt am Strand hocken müssen. Wir werden uns mal wieder die üblichen Dinge an den Kopf werfen und hinterher darüber lachen.«
    Ich wusste, dass er gerade versuchte, mir seine Ehe zu erklären. Dass es keineswegs perfekt lief zwischen ihm und Charlotte, dass sie grundverschieden waren, aber ihre Beziehung dennoch funktionierte. Ob er wohl über ihre Seitensprünge Bescheid wusste?, fragte ich mich. Ob er es wusste und zu dem Schluss gekommen war, dass es ihm nichts ausmachte? Er liebte Charlotte so, wie sie war. Er wollte nicht, dass wir Außenstehenden ihre Geheimnisse ans Licht der Öffentlichkeit zerrten, denn dann wäre er gezwungen, sie sich einzugestehen und irgendwie zu reagieren. Er wollte weiterhin mit Charlotte verheiratet sein, ob sie nun treu war oder nicht, denn er war trotz allem glücklich mit ihr.
    Wer wollte ihm das verübeln?
    »So wird das nichts«, sagte ich, als auch der zweite Stein ins Wasser plumpste. »Schau, so musst du es machen.«
    Ich fasste ihn am Handgelenk, und dann brachte ich ihm am Ufer der Elbe im Mondschein bei, wie man Steine übers Wasser hüpfen lässt.

SIEBENUNDSECHZIG

    A m nächsten Morgen wachte ich früh auf. Karla hatte mir ein herrliches Zimmer zugewiesen, das nach Osten lag und wo die aufgehende Sonne zum Fenster hereinschien. Ich zog den Morgenmantel an, den Kirsten mir geliehen hatte, nahm mein Handy und ging leise hinaus. Kirstens Zimmer lag neben meinem. Die Tür war nur angelehnt. Ich schob sie auf, und sie wandte mir lächelnd den Kopf zu. Sie lag wach im Bett, hatte mich schon erwartet.
    Ich ging nach unten und setzte mich neben den Springbrunnen auf die Terrasse. Die Sonne stieg über den Dächern von Magdeburg in den Himmel und warf ihr sommerlich gelbes Licht auf die Schlossanlage. Es war ein wunderschöner Morgen, der ein schöner Tag zu werden versprach.
    Zuerst rief ich Mum an. Ich erzählte ihr nichts von Kirsten, sondern sagte ihr nur, dass es mir gut gehe, und bat sie um eine Telefonnummer. Sie gab sie mir.
    Ein paar Minuten später kam Kirsten in ihrem Pyjama und ihren Flipflops und mit zwei Bechern Kaffee in den Händen heraus. Sie setzte sich neben mich. Dampf stieg von der heißen Flüssigkeit auf. Kirsten rieb sich die Nase.
    Die Sonne warf lange Schatten auf die Wiese unterhalb der Terrasse. Auf allem lag ein goldener Schein. Das Gras glänzte vom Tau, und im hellen Morgenlicht hob sich das filigrane Muster der Spinnennetze, die sich zwischen den Zweigen der Büsche spannten, deutlich ab. Das Wasser im Springbrunnen glitzerte und funkelte. Grün und klar sammelte es sich in dem Steinbecken. Kirsten ließ die Finger über die Oberfläche gleiten. Sie lächelte mir zu,
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