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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus
Autoren: Lesley Turney
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glücklich zwischen ihrer Tochter und ihrer Tante saß.
    »Dann warst du das also, die ich im Museum gesehen habe?«, fragte ich Kirsten.
    Sie nickte. »Ja, ich war dort, weil ich dich kennenlernen wollte.«
    »Woher wusstest du von mir? Wo du mich finden würdest?«
    Kirsten warf Karla einen verstohlenen Blick zu, und diese sagte lächelnd: »Zeig es ihr.«
    Kirsten lief ins Schloss und kam wenige Augenblicke später mit einem Gegenstand in der Hand zurück. Sie reichte ihn mir. Es war das Foto in dem herzförmigen Rahmen, das ich Ellen zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Das ein oder andere Glasstück hatte sich gelöst und das Foto war vergilbt, aber noch immer waren Ellen und ich deutlich darauf zu erkennen, Wange an Wange, einen Arm über der Schulter der anderen und ihr dunkles und mein helles Haar ineinanderfließend. Ich drehte das Foto um. Auf der Rückseite standen noch immer die Worte, die ich damals mit schwarzem Filzstift geschrieben hatte. Die Farbe hatte sich mit den Jahren in ein blasses Orange verwandelt, aber die Worte waren noch immer lesbar. Ich hatte ein Herz mit einem Pfeil gezeichnet und Ellen Brecht darüber geschrieben und darunter: Hannah Brown , und in dem Herz war zu lesen: Für immer Freundinnen.
    Ellen hatte das Foto aufbewahrt. Es stand auf ihrem Nachttisch, und Karla hatte es zusammen mit Ellens Tochter mit nach Deutschland genommen.
    »Natürlich hat Karla dich nicht vergessen«, sagte Kirsten. »Ich habe deinen Namen gegoogelt, aber es gibt ungefähr siebentausend Hannah Browns in England. Doch dann habe ich die Suche verfeinert und bin auf die Webseite des Museums gestoßen. Und auf einem der Fotos der Museumsangestellten hat dich Karla wiedererkannt.«
    »Kirsten hat sich die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, wie sie es anstellen soll, mit dir Kontakt aufzunehmen«, sagte Karla.
    »Zuerst wollte ich schreiben, aber dann dachte ich: Was, wenn sie antwortet, sie will mich nicht sehen? Dann werde ich es nie herausfinden. Also habe ich beschlossen, dich zu überraschen. Außerdem wollte ich sehen, wo Ellen gelebt hat. Und den Strand wollte ich auch besuchen.«
    »Und ihr Grab?«
    »Ja, auch an ihrem Grab war ich.«
    »In Kirstens Zimmer haben wir verschiedene mögliche Szenarien durchgespielt«, warf Doreen mit einem Lachen ein. »Ich habe Sie gespielt und Kirsten sich selbst. Wir haben eine Szene geübt, in der Sie schockiert waren, als Sie erfuhren, dass Ellen eine Tochter hatte, und eine, in der Sie sich gefreut haben. Die zweite Variante hat uns besser gefallen.«
    »Wir haben allerdings nie geprobt, was ich tun sollte, wenn dich mein Anblick derart schockieren würde, dass ich Angst haben würde, du bekämst einen Herzinfarkt!«, sagte Kirsten.
    »Es tut mir schrecklich leid!«, erwiderte ich.
    »Ach was, jetzt ist ja alles gut!«
    Die beiden Mädchen lachten, und John und ich stimmten ein.
    Ich dachte: Gott sei Dank. Gott sei Dank hat Kirsten Karla und eine Freundin wie Doreen, die ihr immer zur Seite stehen wird.
    Und ich dachte: Kirsten hat mehr Glück als ihre Mutter. Ellen hatte eine bessere Freundin verdient als mich.
    Kirsten nahm den Faden wieder auf: »Nach meiner Rückkehr nach Deutschland dachte ich, das war es dann wohl. Und siehe da, nun hast du mich ausfindig gemacht!«
    Ich war ein bisschen betrunken und sehr müde. »Ellen hat mich zu dir geführt«, sagte ich. »Ich weiß es.«
    Karla tätschelte mir die Hand.
    Anschließend erzählte ich Kirsten ein wenig von mir, allerdings nicht die ganze Geschichte. Ich berichtete, was aus Jago geworden war. Wie sehr er Ellen geliebt und sich auf das Baby gefreut hatte, doch schließlich irrtümlich der Überzeugung war, sie hätte abgetrieben. Ich sagte, er habe sich nie von dem Verlust Ellens und des Kindes erholt, erklärte, dass er in Neufundland lebe, aber dass er nicht glücklich sei. Ich erzählte von meinen Eltern, wie hingerissen sie sein würden, wenn sie erfuhren, dass sie ein Enkelkind hatten, und wie sehr sie Kirsten lieben würden.
    Einige Aspekte meiner Geschichte konnte ich jedoch nicht in Worte fassen, einige Dinge mussten warten, um irgendwann einmal erzählt zu werden.
    Den restlichen Abend nahm ich nur noch wie durch einen Schleier wahr: den Sternenhimmel, die Fledermäuse, wie ich immer wieder das Weinglas an die Lippen führte, den leisen Nachtwind, den Geruch des Flusses, der in der Luft lag, und dass sich John kurz entfernte, um mit Charlotte zu telefonieren. Doreen sang mit leiser, melodischer
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