Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
(1564-1616)] die gerade einen Ofen säuberte, ein Wunderwerk des genialen Bernard Palissy; [Fußnote: Bernard Palissy (1510-1589 oder 1590): französischer Glasmaler, Kunsttöpfer und Naturwissenschaftler; entdeckte das Verfahren, Tongefäße mit farbigem Email herzustellen. Seine dekorativen Zwecken dienenden Tonarbeiten schmückten tierische und pflanzliche Darstellungen] dann sagte er mit sorgloser Miene zu dem Fremden: »Schauen Sie sich nur um, Monsieur! Hier unten sind nur ganz gewöhnliche Sachen. Wenn Sie sich aber die Mühe machen wollen, mit in die erste Etage hinaufzusteigen, kann ich Ihnen sehr schöne Mumien aus Kairo zeigen, mehrere inkrustierte Töpferarbeiten und ein paar Ebenholzschnitzereien, ›echte Renaissance‹ kürzlich erst eingetroffen und einfach wundervoll.«
    In seiner entsetzlichen Lage empfand der Unbekannte dieses Ciceronengeschwätz, [Fußnote: Cicero , Marcus Tullus (106-43 v. Chr.): größter Redner des römischen Altertums, seine philosophischen Schriften wurden zum Vorbild für den klassischen lateinischen Stil] diese dummen Kaufmannsphrasen wie die albernen Scherze, mit denen beschränkte Geister einen Mann von Genie peinigen. Aber er trug sein Kreuz bis zum bitteren Ende, hörte seinem Führer mit halbem Ohre zu und antwortete mit Gesten und vereinzelten Worten. Doch nach und nach wußte er sich das Recht zu erobern, in Schweigen zu verharren, und konnte sich bedenkenlos seinen letzten grauenvollen Betrachtungen überlassen. Er war Poet, und unvermutet fand seine Seele hier Nahrung in Hülle und Fülle vor: er sollte die Gebeine aus zwanzig Welten im voraus zu sehen bekommen.
    Auf den ersten Blick boten ihm die Lagerräume ein wirres Bild, auf dem sich Weltliches und Heiliges durcheinanderhäufte. Ausgestopfte Krokodile, Affen, Riesenschlangen grinsten Kirchenfenster an, es schien, als wollten sie ihre Zähne in Büsten schlagen, nach Lackarbeiten haschen oder an Kronleuchtern emporklettern. Eine Sèvresvase mit dem Bild Napoleons von Madame Jaquotot [Fußnote: Jaquotot , Marie-Victoire (1776-1835): Porzellanmalerin der Manufaktur von Sevres (Ort an der Seine, berühmt durch seine 1763 im Park von Saint-Cloud errichtete Porzellanmanufaktur)] stand neben einer dem Sesostris [Fußnote: Sesostris: griechische Form eines altägyptischen Königsnamens] geweihten Sphinx. Die Anfänge der Welt und die Begebenheiten von gestern fanden sich auf eine grotesk friedliche Art miteinander verbunden. Ein Bratenwender lag auf einer Monstranz, ein republikanischer Säbel auf einer mittelalterlichen Hakenbüchse. Madame Dubarry, [Fußnote: Dubarry , Jeanne Becu, Comtesse du Barry (1743-1793): lothringisches Bauernmädchen, Mätresse Ludwigs XV., 1793 hingerichtet] von Latour [Fußnote: Latour , Maurice Quentin de La Tour (1704-1788): französischer Pastellmaler, berühmt für seine Porträtdarstellungen] in Pastell gemalt, nackt, in einer Wolke mit einem Stern auf dem Kopf, schien lüstern einen türkischen Tschibuk [Fußnote: Tschibuk : lange türkische Tabakspfeife] zu betrachten, als wollte sie den Zweck der sich ihr entgegenschlängelnden Spiralen ergründen. Werkzeuge des Todes, Dolche, seltsame Pistolen, Geheimwaffen, Rüstungen, lagen in buntem Durcheinander neben den Gerätschaften des Lebens: Porzellanschüsseln, Meißener Tellern, hauchdünnen chinesischen Tassen, antiken Salznäpfen, Konfektschalen aus adligem Familienbesitz. Ein Schiff aus Elfenbein wogte mit geschwellten Segeln auf dem Rücken einer reglosen Schildkröte. Eine Luftpumpe stieß dem Kaiser Augustus, der es erhaben kaltblütig hinzunehmen schien, ein Auge aus. Gefühllos wie zu ihren Lebzeiten schauten französische Schöffen und holländische Bürgermeister bleich und kalt von ihren Porträts auf dieses Chaos von antikem Kleinkram hernieder. Alle Länder der Erde schienen Überbleibsel ihrer Wissenschaften, eine Probe ihrer Kunst hierhergesandt zu haben. Es war eine Art philosophischen Kehrichthaufens, auf dem nichts fehlte, von der Friedenspfeife des Wilden bis zum grün-goldenen Pantoffel aus dem Serail, vom Krummschwert des Mauren bis zum Götzenbild der Tataren. Ja sogar der Tabaksbeutel des Soldaten, der Kelch des Priesters und die Federn von einem Thron waren da zu finden. Überdies wurde diese monströse Szenerie von tausendfach wechselnden bizarren Lichtreflexen beherrscht, die dem Wirrwarr der Farbtöne und dem schroffen Kontrast von Hell und Dunkel entsprangen. Das Ohr vermeinte, erstickte Schreie zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher