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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn
Autoren: John Stephens
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nebenbei ein ganzes Dorf gerettet hatten und zu Helden geworden waren. Sie alle, auch Michael.
    »Danke«, hatte Michael sarkastisch gesagt.
    »Gern geschehen.«
    »Aber das können wir nicht sagen. Sie würde uns für verrückt halten.«
    »Na und?«, hatte Emma erwidert. »Ich wäre lieber im Irrenhaus als hier.«
    Schließlich hatte Kate sie schwören lassen, bei ihrer ursprünglichen Geschichte zu bleiben: Dr. Pym wäre ein ganz gewöhnlicher Mann und überhaupt nichts Bemerkenswertes hätte sich ereignet. »Wir müssen Dr. Pym vertrauen«, hatte Kate gesagt.
    Wir haben nämlich gar keine andere Wahl, dachte sie jetzt.
    Sie hörte gedämpfte Musik und blickte den Hügel hinab zu dem großen gelben Zelt auf dem Rasen vor dem Waisenhaus. Heute fand Miss Crumleys Party statt und die ersten Gäste trafen bereits ein.
    In den vergangenen zwei Wochen hatte jedes einzelne Kind im Waisenhaus von morgens bis abends geschuftet, hatte Unkraut gejätet, Beete geharkt, Hecken gestutzt, Fenster geputzt, Müll und Unrat aus dem Haus geschafft, Käfer und Kakerlaken aus den Ecken und Nischen vertrieben – alles nur für ein Fest, zu dem sie nicht einmal eingeladen waren.
    »Und dass ihr mir ja nicht an den Fenstern klebt und meine Gäste angafft!«, hatte Miss Crumley die Kinder heute Morgen beim Frühstück angeblafft. »Mr Hartwell Weeks hat kein Verlangen danach, eure dreckigen, speckigen kleinen Gesichter zu sehen.«
    Mr Hartwell Weeks war der Präsident des Maryland-Heimatvereins und Ehrengast der Party. Der Heimatverein veranstaltete wöchentlich Bustouren zu »historisch bedeutsamen Bauwerken« in der Gegend, und weil das Waisenhaus früher einmal eine Waffenfabrik gewesen war, wollte Miss Crumley unter allen Umständen dafür sorgen, dass es in die Liste aufgenommen wurde. Dann hätte sie die Möglichkeit, unbedarften Touristen zehn Dollar pro Kopf abzuknöpfen, und sie durch das Waisenhaus zu schleppen.
    »Und wenn ihr das vermasselt« – sie sprach zu allen Kindern, warf aber Kate und ihren Geschwistern besonders bösartige Blicke zu – »dann lasst euch gesagt sein, dass ich immer wieder Anfragen von Labors bekomme, die nach Kindern für besonders gefährliche Experimente suchen, solche, für die man keinen guten Hund verschwenden würde. Ich wüsste da schon ein paar Kandidaten.«
    Kate betrachtete die Männer in blauen Jacketts und weißen Hosen und die Frauen in pastellfarbenen Kleidern, die um das Waisenhaus stolzierten und im Schatten des Festzelts verschwanden. Aber eigentlich schaute sie gar nicht richtig hin. Sie dachte wieder an ihren Traum, sah vor sich die gelbäugigen Kreaturen durch den Nebel treten, hörte die Stimme des Mannes ihren Namen und die ihrer Geschwister aussprechen. Wenn sie bloß wüsste, ob die Ereignisse, die sie in diesem Traum sah, bereits passiert waren oder in der Zukunft lagen! Wie viel Zeit blieb ihnen noch?
    Sie vertraute Dr. Pym. Sie vertraute ihm wirklich. Aber sie hatte entsetzliche Angst.
    »Tja, sie hat’s mal wieder geschafft!«
    Kate drehte sich um und sah ihren Bruder Michael schwer atmend den Hügel hinaufstapfen. Sein Gesicht war gerötet und er schwitzte. Seine Brille rutschte ihm ständig auf die Nasenspitze. Über der Schulter hing der Riemen einer abgewetzten Leinentasche, die beim Laufen gegen seine Hüfte schlug.
    Kate zwang sich zu einem Lächeln.
    »Was hat sie geschafft?«
    »Sich in Schwierigkeiten zu bringen«, sagte Michael mit übertriebener Verzweiflung. »Miss Crumley hat sie beim Eiscrememopsen erwischt. Ich dachte schon, sie bekommt einen Herzanfall. Miss Crumley, meine ich. Nicht Emma.«
    »Okay. Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast.«
    »Das ist alles? Du bist nicht sauer?« Michael hatte eindeutig mehr erwartet. »Kate, du weißt, dass ich das nicht gern sage«, fuhr er fort, »aber du bist zu nachsichtig mit ihr. Dr. Pym hat uns hierher geschickt, damit wir uns bedeckt halten. Damit uns niemand findet. Wie soll das gehen, wenn Emma sich ständig Ärger einhandelt? Du musst mal ernsthaft mit ihr reden.«
    Innerlich seufzte Kate. »Worüber reden?«, fragte sie.
    »Darüber, dass sie sich vernünftiger benehmen muss! Ihren Kopf benutzen muss! Ich war in ihrem Alter sicher nicht so achtlos.«
    Er sagte das so, als ob er von einer lange zurückliegenden Zeit sprach.
    »Also gut«, sagte Kate. »Ich werde mit ihr reden.«
    Michael nickte wohlwollend. »Ich habe gehofft, dass du einsehen würdest, wie wichtig das ist. Ich habe übrigens das perfekte
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