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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman
Autoren: Dbc Pierre
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Meer tragen. Er hat keinen Grund, deprimiert zu sein über den Zustand der Dinge, Großbritannien steht an hervorragender Position. Die Briten haben das Marktexperiment gestartet, sie werden also auch die Ersten sein, bei denen es zusammenbricht. Das wiederum bedeutet, dass sie wahrscheinlich auch als Erste wieder auf die Beine kommen. Zwischendurch gibt’s natürlich erst noch ein autoritäres Regime, aber am Ende des Tages werden solche Regime immer vom Volk zu Fall gebracht. Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, die Saat für die Zeit danach auszubringen.«
    »Ach, Gottfried«, sagt Gerd, »das ist doch die Geschichte von Berlin, die du da erzählst. Die Idee mit dem Volk war ja längst ausgesät, bevor die Faschisten kamen.«
    »Du siehst: Die Geschichte hat ihren Rhythmus.«
    »Also, Frederick« – Gerd sieht mich über die Schulter hinweg an – »ich habe dich ja gewarnt, dass er versuchen wird, dich zu rekrutieren. Du solltest auch deinen Freund vorwarnen, wenn er aus Japan kommt – bei Gottfried weiß man nie. Er sieht erstmal aus wie ein Standbild, aber kaum hat man ihn kennengelernt, ist es schon zu spät. Wann kommt er denn an, dein Freund?«
    »Donnerstagabend.« Ich nehme einen Schluck von meinem Bier.
    »Der nächste Rekrut«, spöttelt er. »Pass bloß auf. Und danach dann gleich die große Mission für Pietschland, was? Was nimmt man auf einen solchen Feldzug gegen die Mächte der Dekadenz wohl mit? Außer einem Kater?«
    Während sie lachen, denke ich nach. »Na ja, die Dekadenz hat ja jetzt selbst einen Kater – aber ich habe mir ein paar Notizen gemacht, damit kann ich vielleicht erstmal anfangen.«
    »Pff.« Anna dreht sich um. »Meinst du dieses kleine Buch? Für Affen und Dichter und so? Im ersten Absatz steht, dass du keinen Namen hast für deine Situation, weil du dich umbringen willst.«
    »Hä?«, macht Gerd. »Frederick doch nicht.«
    »Symbolisch«, sagt Gottfried. »Eigentlich meint er natürlich die Kultur, den Markt. Jetzt muss er nur noch denselben Absatz ans Ende schreiben, aber dazu sagen, dass er leben will. Das ergibt einen perfekten Zyklus – genau wie das Leben selbst.«
    »Und was ist mit Anna?« Gerd stößt sie an: »Trittst du auch zu Pietschland über, habe ich es hier mit dem Massenexodus aller mir bekannten Menschen zu tun?«
    »Kommt drauf an. Wenn es da einen Kiosk gibt, dann nicht.«
    Unter fortgesetzter Flachserei erreichen wir den Flughafen. Dann ist es Zeit, die Bordkarten zu holen, und wir laufen sinnlos herum wie alle Menschen am Abfluggate; mit nichtssagendem Blick unterhalten wir uns über unwichtige Dinge und lassen unsere Sätze unvollendet. Als der Flug aufgerufen wird und Fremde sich zusammenscharen, frage ich mich, ob ich da nicht eine Träne in Gerds Augenwinkel entdecke. Wir rücken zusammen, Gerd mit seinem Lächeln von den Porträtfotos, Gottfried mit seiner versteinerten Miene, und sagen die Last-Minute-Nichtigkeiten, die das Los der Reisenden sind.
    »Bis Sonntag dann«, sagt Gerd.
    »Tschüss«, schnauft Gottfried.
    Anna und ich winken zurück, rufen: »Viel Spaß in Stuttgart!« Unsere Hände drücken sich pulsierend, vielleicht ein lustvolles Versprechen, wie Eltern es sich geben, wenn die Kinder sie mal allein zu Hause lassen. »Schöne Grüße an Gisela.«
    »Ach« – Gottfried wendet sich an Gerd – »hast du an den Diamanten gedacht?«
    »Ja«, nickt Gerd, »aber kein Wort über die ganzen anderen, sonst kommt sie noch früher zurück.«
    Wir lachen, und wie zwei altjüngferliche Tanten zockeln die beiden zum Gate und bleiben an der Passkontrolle stehen, um ein letztes Mal zu winken. Beim Zurückwinken sehe ich im Augenwinkel eine vertraute Gestalt durch das Gate neben uns gehen und zucke zusammen: Es ist Didier Le Basques ominöse Gestalt. Ich versuche, ihn auf mich aufmerksam zu machen, aber er verschwindet, ohne mich gesehen zu haben, während Gerd und Gottfried sich wundern, wen oder was ich gerade zu Gesicht bekommen habe. Bevor ich ihnen eine Erklärung zurufen kann, taucht eine zweite Gestalt auf, an die ich mich vage erinnere.
    Ich starte einen Gedächtnissuchlauf, und wie ein Blitz durchfährt mich die Antwort.
    »Pike!«, rufe ich. »Hey, Pike – wie geht die Geschichte aus?«
    Mit irritiertem Gesichtsausdruck dreht der Mann sich um und versucht, mich in der Menschenmenge auszumachen.
    »Sie saßen in diesem Auto«, rufe ich, »das Meer war blau, der Himmel spannte sich über Ihnen, die Luft war heiß, und Sie konnten das
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