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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman
Autoren: Dbc Pierre
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gern den dicken Preußen raushängen.«
    »Ich frage lieber nicht, ob das nicht zynisch ist – während hier Seepferdchen und Tiger serviert werden.«
    »Das ist nicht zynisch. Man nennt es Klasse .« Thomas fährt vom Vorhang zurück, als ein Brocken Scheiße hindurchgeflogen kommt. »Etwas, wovon diese Wichser keine Ahnung haben.«
    Die Tafel ist eingestürzt und liegt auf dem Boden, das Wunderland ist zu einer wimmelnden Masse aus Stoff und Fleisch geworden. Alle Kissen und Teppiche im Saal sind aufeinandergehäuft worden, die Gäste krümmen sich wie Maden, sie ächzen und keuchen, Haut schimmert auf persischen Mustern, Geschlechtsteile formieren sich zu Kunstwerken aus weinenden Gesichtern und geäderten Würmern, unwiederholbar wie Des Esseintes’ mit Edelsteinen besetzte Schildkröte.
    Ein Gazellenkadaver liegt auf der Seite im Brunnen. Ein langes, gebogenes Horn des Tieres ist zum Wellenbrecher geworden, an dem diverses Treibgut auf und ab schwappend hängengeblieben ist. Bevor ich alle Dinge auflisten kann, die im Brunnen treiben, torkelt einer der Gäste in die Senkrechte und uriniert lange und hart in den Wein. Sein schaumiger Strahl lässt Treibgut über das Horn hinwegtrudeln.
    Eine andere Macht der Finsternis kriecht heran und füllt sich den Kelch nach.
    Der Beleibte lehnt auf einem Kissenberg an einer Säule. Der biegsame Junge hockt auf allen Vieren über seinem Gesicht. Der Mann schlabbert ihn an, sein Mund ist knallrot, seine Zunge schießt umher und stößt zu. Rittlings auf ihm sitzt ein Mädchen, aufgespießt schaukelt es vor und zurück, manchmal greift es nach unten und drückt sein halberschlafftes Glied. Dann wird meine Aufmerksamkeit von einem Wimmern abgelenkt, und ich sehe, wie ein anderer Junge sich über den Tisch beugt, den Kopf flach auf die Seite gelegt, die Arschbacken weit auseinandergerissen, und wie der haarige Arm eines Gastes kolbenartige Stoßbewegungen in ihm vollführt.
    Unsere elegante Lokalität ist zu einer Vorstufe der Hölle geworden.
    Ein neues Mädchen geht an mir vorbei in den Salon, bevor ich es davon abhalten kann. Es tut mir leid. Es strahlt Herzensgüte aus, bei jedem Lächeln zieht es seine Schultern ein wenig hoch, ein Automatismus als Antwort auf alles, was ein Leben mit sich bringen kann – in diesem Falle alles in einer Nacht. Das Mädchen hat eine knabenhafte Figur, eine stolze Nacken- und Rückenpartie und offenherzige braune Augen. Als es durch den Raum streift, sehe ich, wie sich langsam ein Arm unter dem Tisch hervorschiebt.
    Sie verschwindet mit einem dumpfen Aufprall.
    Und in mir wächst eine Sehnsucht.
    Einfach nur von hier wegzukommen.
    Ich will mich abwenden, als Thomas nach meinem Arm greift:
    »So etwas hat auch der Baske noch nie gesehen«, flüstert er. »Das sind Tiere. Ich mache mich jetzt mit einem der Wagen aus dem Staub, sollen sie zur Hölle fahren. Aber bevor ich’s vergesse: Der Baske meinte, als eine Art Dankeschön könntest du dir etwas aus der Küche mitnehmen, bevor du gehst. Such dir einfach was aus, was auf den Regalen steht, ist alles hervorragende Ware: Trüffel, Schokolade, Räucherfisch – viele gute Sachen. Außerdem steht im Küchenmobil eine Kiste, die du vielleicht in einem Restaurant in Tokio schon mal gesehen hast – noch versiegelt, offiziell in Quarantäne, mit Proben biologischer Natur, dazu Papiere, unterzeichnet vom Restaurant, die ihre Echtheit bezeugen. Zufällig habe ich auch einen Freund, der Kurier für solche Sachen ist – ich glaube, du hast ihn sogar schon kennengelernt. Such dir also besser etwas anderes aus und lass ihn diese Kiste nach Japan zurückbringen.«
    Vor Erleichterung fange ich an zu schwitzen, meine Knochen werden in mir weich.
    »Morgen Abend ist sie drüben. Die Gerichtsmedizin wartet schon.«
    »War das die ganze Zeit so geplant?«
    »Mein Freund, mein Freund.« Thomas legt mir den Arm um die Schulter.
    »Zunächst einmal hatten wir gehofft, du würdest von alleine darauf kommen, dass wir eine Ausrede brauchten, um die Probe sicherzustellen – damit es nicht so aussieht, als würde der Baske Beweismittel sammeln. In gewissen Kreisen weiß man von diesem Bankett, es war die erste glaubwürdige Gelegenheit, Fisch auftischen zu wollen. Wir konnten ja nicht vorher wissen, dass er aus dem Anhänger geklaut werden würde, oder? Um also deine Frage zu beantworten: Nein, das war nicht geplant – es ist überhaupt nicht passiert. Denk dran.«
    Wir starren uns an und lassen in Gedanken
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