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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman
Autoren: Dbc Pierre
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Institution. Am Sonntagabend steht ganz Deutschland still und schaut zu.«
    Als erste Regentropfen auf die Windschutzscheibe fallen, wendet er sich an Anna: »Könntest du den Scheibenwischer machen? Ich will euch zwei Turteltäubchen ja nicht trennen, aber Gottfried mit seiner Arthritis ist entschuldigt.« Bei jedem sechsten oder siebenten Durchlauf bleiben die Wischer mit einem schabenden Geräusch stehen, und Anna fasst nach draußen und schüttelt sie. »Der gute, alte Lada.« Gerd klopft auf das Lenkrad. »Für sibirische Winter gebaut – dreihunderttausend Kilometer und läuft immer noch wie ein Panzer.«
    »Pff, Panzer stimmt.« Anna zieht den Mantel um sich herum fester.
    Als der Verkehr ausdünnt, greift Gottfried in eine alte Lufthansa-Tasche zu seinen Füßen, zieht ein Bier heraus und öffnet es an der Türverkleidung. Über den Vordersitz hinweg reicht er es Anna. Dann macht er das Gleiche für mich, dann für Gerd, wobei er einer Hierarchie der Gastfreundlichkeit zu folgen scheint, die ihm außer einem Schnaufen, wenn er sich über die Sitze beugt, keinerlei Lautäußerung abverlangt.
    »Du weißt, das ist eine Einstiegsdroge.« Ich sehe Annas Bier an.
    »Noch blute ich nicht mal.«
    »Gott, in eurem Alter haben wir Wodka getrunken«, sagt Gerd. »Beim Aufwachen waren wir ganz grün. Was, Gottfried? Wir sind grün aufgewacht!«
    »Du hast es auch falsch gemacht.«
    »Hä? Beim Wodka gibt es kein richtig oder falsch. Am Ende bist du grün.«
    »Auch hier gilt die Achtzig-Zwanzig-Regel: Achtzig Prozent des Genusses kommt von zwanzig Prozent der Getränke. Die Kunst ist, ausschließlich diese zwanzig Prozent zu trinken.«
    »Ach ja? Dann willst du bestimmt auch nur zwanzig Prozent von Gabriels Wein.«
    Darauf sagt Gottfried erstmal nichts, sein Mund ist leicht zu einem Lächeln geöffnet. »Nein – davon bekomme ich neunundneunzig Prozent, weil ihr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach dem ersten Glas am Boden liegt.«
    » Haa! « Gerd haut gegen das Lenkrad »Schlachtrufe, Herr Pietsch, nichts als Schlachtrufe!«
    Die Haut um Gottfrieds Augen legt sich in feine Fältchen, der Sitz ächzt unter seinem Gewicht.
    »Das ist so ungefähr das Gegenteil von deinem alten System.« Anna dreht sich zu mir um: »Achtzig Prozent der Getränke bringen einen Prozent Spaß, der Rest ist Blut und Kotze.«
    »Was?« Ich mache ein böses Gesicht. »Das ist ein bisschen unfair. Da hatte ich einen schlechten Tag.«
    Gottfrieds Brauen heben sich wissend. »Dem Engländer ging’s doch gar nicht ums Trinken. Der war hinter was anderem her – einem Gefühl.« Er sieht mich an: »Habe ich recht?«
    »Hm – wahrscheinlich schon.«
    »Ich kenne das gut«, sagt er. »Aber eigentlich liegt er direkt vor uns, dieser Ort, nach dem du suchst. Im Augenblick vor dem, der folgt.«
    » Haa , hast du das gehört, Frederick? Lern von den Alten. Beim nächsten Mal schaust du dir einfach alles von uns ab, die nächste große Party wird deine Einführung in die Gesellschaft.«
    »Ach ja, ja.« Gottfried legt nachdenklich den Kopf zurück. »Letztendlich müssen wir alle erwachsen werden. Und tatsächlich wird der Genuss größer, sobald man die Geheimnisse beherrscht. Ich weiß gar nicht, wann das Erwachsenwerden so aus der Mode gekommen ist. Von uns damals wurde erwartet, schon als Kinder kleine Erwachsene zu sein. Das ist ein besseres System, weil man so früh Disziplin gelernt hat, sodass später, als man erwachsen war, plötzlich alles Spaß gemacht hat. Man konnte trinken gehen, Geld ausgeben – jede Tür ging auf.«
    »Den Märkten wäre das zuwider«, sage ich. »Die halbe Wirtschaft lebt von Kindern.«
    »Hnf, na ja. Deine halbe Wirtschaft vielleicht. Bei mir würde die Hälfte der Wirtschaft dafür verwendet werden, die Kinder früh ins Bett zu schicken.«
    »Ja, ja«, sagt Gerd, »in Pietschland würde alles anders laufen, was, Gottfried?«
    »Entschuldigung – aber es wird anders laufen. Es wird ganz anders laufen in meinem Land.«
    »Ach, hör auf. Du hängst doch genauso hier fest, in der Welt, so wie sie ist.«
    »Was?« Gottfried beugt sich nach vorne. »Niemand hängt in irgendwas fest, so wie es ist. Wir müssen eben aufstehen und die Kontrolle übernehmen.«
    »Bah – du musst zugeben, es ist einfach, für eine Ein-Mann-Bevölkerung zu sprechen.«
    »Was heißt hier ein Mann? Ich habe einen Gesandten im Ausland.« Gottfried stößt mich mit dem Ellbogen an. »Genosse Engländer wird meine Mission übers
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