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Das Buch der Verdammnis (German Edition)

Das Buch der Verdammnis (German Edition)

Titel: Das Buch der Verdammnis (German Edition)
Autoren: Gunnar Schuberth
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sie darunter noch mindestens drei unförmige Unterröcke. Aus dem Stoff schossen überall Rüschen und Bänder wie Unkraut hervor.
    Jedes Mal, wenn ich sie sah, fragte ich mich, warum sie sich anzog wie eine 200 Jahre alte Frau. Ihre Haare hatte sie zu einer unförmigen Frisur aufgetürmt, sodass sie wie eine Gouvernante aus einem ihrer Heftromane aussah. Dazu trug sie eine Brille, bei deren Anblick ich mich jedes Mal fragte, welcher Optiker ein solches hässliches Ungetüm in seinem Sortiment führte.
    Ich hatte schon manchmal überlegt, ihr einen kleinen Hinweis zu geben, aber bei Frauen wie sie wusste man nie. Es konnte sein, dass sie beleidigt jeden Kontakt mit mir abbrechen würde. Und irgendwie hatte ich mich an unsere gemeinsamen Pausen gewöhnt und konnte mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich meine Kurstage ohne unsere Treffen durchhalten würde.
    Ich holte mir einen Stuhl und setzte mich zu ihr. Meike schenkte mir eine Tasse mit Kaffee ein.
    „Dieser Kuchen ist fantastisch“, sagte sie zu mir. „Du musst ihn probieren.“
    In Meikes Kurs gab es laufend Feste. Die Teilnehmerinnen, es waren nur Frauen bei ihr, schienen alle genau an den Kurstagen Geburtstag zu haben. Wenn sie nicht Geburtstag hatten, feierten sie eine bevorstehende Hochzeit, eine Beförderung, ihren Namenstag oder dass sie die Führerscheinprüfung nach dem dritten Anlauf endlich geschafft hatten. Sie feierten den Anfang einer Diät und das Ende, und wenn es keinen Grund zu feiern gab, dann feierten sie, weil sie in einem so wunderbaren Kurs sein durften mit so einer wunderbaren Kursleiterin. Manchmal lasen sie auch etwas aus ihren Werken und dies stieß jedes Mal auf ungeteilte Begeisterung, ein neuer Anlass für Kuchen, für Sekt und für eine kleine Feier.
    Meike hatte den ultimativen Kuschelkurs.
    „ Sylvia“, sagte Meike zu einer der Frauen, die in kleinen Gruppen im Raum saßen und sich unterhielten. „Dieser Kuchen ist wunderbar. Sie müssen auch meinem Kollegen davon geben.“
    Kurze Zeit später kam eine mollige Mittdreißigerin im grauen Pullover und Jeans zu mir. Sie legte einen Teller mit Kuchen vor mich.
    „Nur, weil Sie es sind“, sagte sie zu Meike. Mich würdigte sie keines Blickes. Dann verzog sie sich wieder.
    „ Was hast du denn wieder angestellt?“, fragte mich Meike.
    „ Gar nichts. Sie war in meinem Kurs. Wir haben über ihren Text gesprochen, das war alles. Danach wollte sie den Kurs wechseln, jetzt ist sie bei dir.“
    Meike schüttelte den Kopf.
    „Wirst du denn überhaupt nicht schlauer, Leon? Was hast du denn gesagt?“
    „ Meine ehrliche Meinung.“
    „ Natürlich, deine ehrliche Meinung. Wie viele Leute sind denn jetzt noch in deinem Kurs?“
    „ Heute waren es vier.“
    „ Vier, du hast es geschafft, einen vollen Kurs mit zwanzig Teilnehmern innerhalb von acht Kurswochen so zu dezimieren? Und das nur, weil du deine ehrliche Meinung gesagt hast.“
    Ich antwortete nicht.
    „Mach’s doch so wie ich. Bei mir sind noch alle zwanzig Teilnehmer da. Und jede Pause gibt es Kuchen.“
    „ Wenn ich es so machen würde wie du, würd ich in jedem Kurs 10 Kilo zunehmen.“
    Meike lächelte.
    „Ich frag mich sowieso“, sagte ich dann. „ob ich nicht nach dem Semester Schluss machen sollte mit diesen Schreibkursen.“
    Meike sah mich überrascht an. „Wie kommst du auf so was?“
    „Weiß nicht, irgendwie komm ich mir gar nicht wie so ein richtiger Schriftsteller vor. Das Einzige, was ich zu Papier bringe, sind irgendwelche Geschichten über Dämonenjäger.“
    „ Aber das ist doch Unsinn. Du hast ‚Schneegestöber im August’ geschrieben. Und du hast doch erzählt, dass du bald mit deinem zweiten Roman fertig bist.“
    Ich schwieg. Ich gab etwas Zucker in meinen Kaffee und rührte ihn mit einem Löffel um.
    „Und ich freu mich schon riesig auf diesen zweiten Roman“, sagte Meike.
    Ich blickte auf und sah sie an.
    „Weißt du, wie weit ich mit meinem zweiten Roman bin? Ich habe einen Satz, den allerersten Satz. Ich weiß, dass es dieser Satz sein muss. Aber dann geht es nicht weiter. Ich komme einfach nicht weiter.“
    „ Nur ein Satz?“, fragte sie leise.
    Ich nickte. „Nur ein Satz.“
    Sie sah mich erschrocken an. Ich wusste nicht, warum ich es ihr erzählte, warum ich es zu diesem Zeitpunkt tat und an diesem Ort. Dieser erste Satz war Versprechen und Fluch. Ich liebte diesen Satz. Doch alles, was ihm folgte, hatte ich wieder und wieder geändert und schließlich gelöscht. Es gab nur diesen
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