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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten
Autoren: Robin Wasserman
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darauf, dass es auch mich verschlang, wartete auf etwas, dem ich keinen Namen geben konnte, bis die Flammen von allein erloschen und ich vor den Trümmern des Gebäudes stand. Es gab keine Leichen. Nichts, was als menschlich zu erkennen gewesen wäre, nichts, was noch lebendig war. Nichts außer dem Lumen Dei. Es war unbeschädigt. Und es wartete auf mich.
    Thomas vermochte ich nicht zu retten. Ich vermochte nur die Maschine zu retten, die ihn getötet hat.
    Jetzt, liebster Bruder, verstehst Du, warum mir der Gedanke kam, sie in Stücke zu zerschmettern. Warum ich es immer noch tun will.
    Warum ich Angst habe, es zu versuchen.
    Nur Václav hat jene Nacht überlebt. Ich weiß das, weil ich ihn gesehen habe, weil er mir nachschleicht, verborgen in dunklen Ecken und engen Gassen. Jetzt ist er der Geist, der mich heimsucht. Aber ich fürchte ihn nicht. Was kann er mir nehmen? Was bleibt?
    Nur Du. Und dies.
    Ich vergrabe das, was vom Lumen Dei geblieben ist, an dieser Stelle.
    Mein Bruder, ich muss gestehen, dass ich noch entscheiden muss, ob ich Dich jemals zu diesem Brief führen werde. Ja, das Lumen Dei ist das Vermächtnis unseres Vaters. Aber es ist auch ein Vermächtnis, das den Tod bringt. War das von Anfang sein Zweck gewesen? Vielleicht war das Geschenk unseres Vaters gar nicht so anders als das, was ich mir gewünscht hätte. Vielleicht, wenn ich ihm vertraut hätte, wenn ich seinen letzten Wunsch befolgt hätte, wäre Thomas jetzt bei mir und alles wäre anders.
    Doch die Grundlagen für den Apparat sind in Ordnung und daher muss ich glauben, dass unser Vater, wie auch immer seine Absichten bezüglich des Kaisers waren, einen höheren Zweck verfolgte. Das Wissen Gottes lässt sich ergründen und das Lumen Dei ist der Weg zu diesem Wissen. Vielleicht lag es nicht am Apparat. Vielleicht war es das Blut. Thomas’ Blut, genommen mit Gewalt, genommen mit Zorn. Ich kenne keinen Gott, der ein solches Opfer annehmen und mit Seiner Gnade belohnen würde. Das heißt, keinen Gott, an den ich glauben möchte.
    Ich weiß nicht, was ich glauben soll.
    Ich habe mich entschieden, aber meine Entscheidung war eine schlechte.
    Jetzt liegt die Entscheidung bei Dir und ich erzähle Dir meine Geschichte, damit du verstehst, was das Lumen Dei zu tun vermag. Nicht nur mit steinernen Mauern, sondern auch mit dem Körper, dem Verstand, der Loyalität und der Liebe. Heute begrabe ich die Bestie und ich vertraue darauf, dass Du sie nur wiederauferstehen lässt, wenn Du sie zähmen kannst, was ich, so fürchte ich, nicht kann. Ich vertraue Dir mehr als mir selbst.
    Ich habe so viel verloren und doch hole ich jeden Tag Atem. Jeden Tag begrüße ich einen neuen Sonnenaufgang. Ich esse und rede und vielleicht werde ich eines Tages sogar wieder lachen. Ich habe so viel verloren und trotzdem lebe ich, weil ich keine andere Wahl habe und mir nur noch eine einzige Wahrheit bleibt, an die ich mich mit meinem Leben klammere. Dieses Monster wird nie wieder eine Seele vernichten. Nie wieder wird jemand das verlieren, was ich verloren habe. Das Lumen Dei hat Thomas zu Asche verwandelt. Mich hat es in Stein verwandelt. Aber es wird nichts mehr vernichten. Ich beende es jetzt.
    Ich beende es hier.
    15. November 1600
    Wenn sie die Maschine zerstört hätte, anstatt das Geburtsrecht ihres Bruders zu bewahren, wenn sie sich ihrer Entscheidung sicher gewesen wäre, anstatt ihm die Entscheidung zu überlassen, wenn sie verstanden hätte, dass sie das Recht und die Pflicht hatte, das zu zerstören, was sie geschaffen hatte, wenn sie nicht geglaubt hätte, dass das Lumen Dei sicher vergraben war, wenn sie es nicht dortgelassen hätte, selbst dann noch, als ihr Bruder tot war, selbst dann noch, als es keinen Grund mehr gegeben hatte, es nicht in Stücke zu schlagen, außer sie ahnte insgeheim, dass sie es eines Tages noch einmal versuchen wollte, wenn sie nicht alles vermasselt hätte, wenn wir nicht alles vermasselt hätten, wenn ich nicht alles vermasselt hätte.
    Ich ließ es nicht zu, dass ich über diese Dinge nachdachte.
    Das Lumen Dei hatte bereits ein Feuer überstanden, ich ließ den Gedanken nicht zu, dass auch das zweite ihm nichts hatte anhaben können. Ich hatte mit eigenen Augen den Schutt und die Trümmer gesehen, Brandermittler hatten alles mit Schaufeln und Lupen durchsucht, es war nichts mehr übrig.
    Elizabeth war vermutlich
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