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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten
Autoren: Robin Wasserman
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sein.«
    Wir waren auf einem bröckelnden Turm angekommen, dessen Brüstung wie ein Mund mit ausgeschlagenen Zähnen aussah. Mehrere Stockwerke unter uns, neben der Kirche, lag ein Friedhof. Jenseits der braunen Landschaft, die sich bis zum Horizont erstreckte, brach die Dämmerung an. Kleine Dörfer krochen an den Hügeln hoch und in der Ferne bohrten sich die Spitzen gotischer Kirchtürme durch den Nebel. »Runter«, sagte Max. Dann stieß er mich zu Boden, für den Fall, dass ich ihn nicht verstanden hatte, und ließ die Tür hinter uns mit einem Fußtritt ins Schloss fallen. Es war eng hier oben, es gab kaum Platz genug für ihn, mich, das Lumen Dei und die Pistole. Mit etwas Glück hätte ich nach der Waffe greifen und den Überraschungsmoment nutzen können, um sie umzudrehen und abzudrücken, ohne dabei einen Querschläger zu riskieren. Doch die Kehrseite dieser brillanten Idee war eine Kugel in meinem Kopf oder ein langer, tiefer Fall nach unten.
    Ich konnte ihn nicht erschießen.
    Â»Ich habe alles für das hier aufgegeben. Ich habe alles getan, was sie mir gesagt haben. Ich habe die vyvolená gefunden! Habe ich es denn nicht verdient?«
    Â»Max, hör mir zu. Es gibt kein ›das hier‹. Du hast gesehen, was dort unten passiert ist. Das Lumen Dei ist ein Witz. Oder eine Waffe. Was auch immer. Es ist nicht das, wofür du es hältst.«
    Er hob die Waffe und zielte auf meine Schläfe. »Sag mir, dass ich würdig bin.«
    Warum konnte ich ihn nicht einfach sterben lassen?
    Â»Er hat nicht genug benutzt«, sagte Max. »Das war sein Fehler.«
    Â»Genug was?«
    Max zerrte mich zum Lumen Dei, zog wie aus dem Nichts ein Messer hervor und schnitt mir die Pulsadern durch, mit einem einzigen, entschlossenen Schnitt, der der Länge nach über meinen Unterarm verlief. Irgendwo, ganz weit weg, spürte ich Schmerz. Doch ich war wie hypnotisiert von dem Blut, das in Strömen aus mir heraus- und in die Maschine floss.
    Die Tür dröhnte und zitterte, als jemand dagegenschlug.
    Dahinter brüllte Eli meinen Namen.
    Adriane schrie.
    Die Tür hielt.
    Das Blut floss.
    Â»Du bringst uns beide um«, sagte ich zu ihm. »Für ein Hirngespinst.«
    Ich sah wieder Sterne vor den Augen, doch dieses Mal waren sie viel größer, grelle Nadelstiche, die Max über das Gesicht tanzten.
    Â»Sag mir, dass ich würdig bin«, befahl er noch einmal.
    Â»Was spielt das für eine Rolle? Max, es war eine Lüge. Es war alles eine Lüge.« Und doch konnte es nicht alles eine Lüge gewesen sein, denn der Anführer der Hleda č i war geschmolzen, direkt vor meinen Augen, war von innen heraus durch ein ruchloses Feuer verbrannt. Weil ich ihm meinen Segen verweigert hatte? Die Maschine war kein Witz. Die Vorstellung, dass ich sie kontrollieren konnte, dass ich Macht hatte – das war der Witz. Ich hatte keine Macht über Max. »Max, bitte. Das bist nicht du.«
    Â»Du kennst mich nicht. Hast du das denn immer noch nicht begriffen?«
    Â»Niemand kann so gut lügen«, erwiderte ich. »Du brauchst nicht mehr zu tun, was sie sagen. Du kannst selbst entscheiden.«
    Â»Nora.« Er strich mit den Fingern über meine Wange, so sanft, so vertraut, und trotz allem und gegen meinen Willen entspannte ich mich unter seiner Berührung, als hätte er meinen Körper eine kurze Sekunde lang wieder getäuscht. Elizabeth hätte ihm vergeben, dachte ich. Sie glaubte an Gott, an die Liebe, an Buße und Erlösung. Doch Max suchte keine Erlösung. »Ich habe mich entschieden. Ich habe mich schon vor langer Zeit entschieden. Du sagst, dass du mich kennst. Dann weißt du es – ich bin würdig. Sag es.«
    Â»Wenn ich es tue, lässt du mich dann gehen?«
    Er legte die Hand an mein Kinn und drehte mein Gesicht zu sich. »Ich brauche dein Blut. Alles, wenn es notwendig sein sollte. Für dieses Opfer wird Gott dich lieben. Ich werde dich lieben.«
    Ich spuckte ihm ins Gesicht.
    Max holte aus. Seine nächste Berührung war alles andere als sanft. Mein Kopf knallte gegen die Brüstung. »Sag es«, brüllte er.
    Sirenen in einiger Entfernung. Die Tür erzitterte in den Angeln. Adriane, die immer noch schrie. Blut, durch meinen Körper gepumpt von einem Herzen, das mich mit jedem Schlag betrog, spritzte aus der Wunde. Und Max, um den ich zweimal getrauert hatte, dem ich viel zu
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