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Das Blut von Magenza

Das Blut von Magenza

Titel: Das Blut von Magenza
Autoren: Claudia Platz
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den Rücken.

Donnerstag, 29. Mai 1096, 5. Siwan, 4856
    In der Stadt
    „Feuer, Feuer!“, schallte es im Morgengrauen durch die Stadt und weckte zuerst die Bürger, die in der Nähe des jüdischen Viertels wohnten.
    Verstört verließen diejenigen, die von dem Warnruf geweckt worden waren, ihre Häuser um nachzusehen. Die Synagoge stand lichterloh in Flammen und ihr Feuerschein färbte den Himmel über der Stadt glutrot. Der Geruch von verkohlendem Holz hing in der Luft, unter den sich der Gestank von verbranntem Fleisch mischte. Funken stoben in die Höhe, die der aufkommende Wind zu den Nachbarhäusern zu tragen drohte. Das Krachen berstender Balken, das Splittern von Stein und das Tosen der Feuersbrunst übertönte die Schreckensrufe der Nachbarn. Das Gebäude war fast vollständig zerstört, das Dach und die oberen Teile der Wände in sich zusammengestürzt.
    Graf Bolko blieb wegen seiner Verletzung mit den Frauen im Anwesen des Kämmerers zurück, während Hanno, Friedrich und die Bediensteten alles ergriffen, was sich zum Wassertransport eignete, und damit zum Unglücksort rannten An der Brandstelle reihten sie sich in die Kette der Löschenden ein. Hanno erspähte Widukind und stellte sich hinter ihn. Gefüllte Eimer wanderten von Hand zu Hand. Das Wasser verdampfte in dem Augenblick, in dem es in die Flammen geschüttet wurde. Gegen diese entfesselte Naturgewalt kamen sie nicht an. Ihr Kampf war aussichtslos und das Gebetshaus nicht mehr zu retten.
    „Was ist geschehen?“, wollte Hanno von Widukind wissen, als er ihm einen Eimer reichte.
    „Ein Zwangsgetaufter, Isaac bar David, fürchtete, die Synagoge könnte entehrt werden. Man sagt, dass er mit seinenKindern vor die Heilige Lade trat, sie tötete, ihr Blut darauf versprengte und schließlich Feuer legte. Dann pries er laut singend den Herrn, den Flammentod erwartend.“
    „Wie verzweifelt muss ein Mann sein, um so etwas zu tun?“, fragte Hanno erschüttert. „Wir haben wirklich genug Schreckliches erlebt. Kommt die Stadt denn nie zur Ruhe?“
    „Gewalt gebiert Gewalt. Was in Mainz geschah, hat die Menschen aus ihren Bahnen gerissen. Dieses Grauen wird uns noch lange in Erinnerung bleiben. Ich fürchte, der goldene Glanz ist dabei zu verblassen“, bemerkte Widukind traurig.
    „Wollen wir hoffen, dass wir wenigstens dieses Feuer besiegen.“
    „Du sagst es, deshalb lass uns nicht reden, sondern arbeiten.“
    Immer mehr Bürger strömten herbei, um das Flammenmeer zu bezwingen, das sich stetig weiterfraß. Anfangs schien es, als fiele die ganze Stadt der Feuersbrunst zum Opfer. Doch sie gaben nicht auf und kämpften bis zur Erschöpfung. Sie wollten nicht das Wenige verlieren, das ihnen noch geblieben war. Den ganzen Tag löschten sie und erst als die Dämmerung hereinbrach, war das Inferno eingedämmt. An einigen Stellen schwelten noch letzte Glutreste, doch ging von ihnen keine Gefahr mehr aus.
    Ein Großteil des jüdischen Viertels war vernichtet, aber die angrenzenden Gebiete waren gerettet. Einstürzende Mauern und Dächer hatten einige Bürger erschlagen, unter ihnen befand sich auch Meister Bertolf. Obwohl sie das Schlimmste hatten abwenden können, spürte man Hoffnungslosigkeit und Verbitterung. Die Trümmer, die Ruinen und die neuerlichen Toten machten ihnen bewusst,was sie während der letzten Tage alles verloren hatten. Viele standen vor dem Nichts und alle fürchteten die Zukunft. Wie würde es weitergehen?
    Der Erzbischof hatte sie verlassen, um sich zu retten. Der Domprobst vertrat ihn zwar, aber konnte er die Lücke füllen, die Ruthard hinterlassen hatte? Viele Gebäude blieben auf unbestimmte Zeit unbewohnbar. Etliche Geschäfte, die sie in Friedenszeiten mit Waren versorgt hatten, waren verwaist. Bauern, die die Märkte bestückten, trauten sich angesichts der umherziehenden Kreuzfahrer weder in die Dörfer noch ihre Felder zu bestellen. Die ganze Struktur war zerstört. Mainz musste erst wieder aufgebaut werden, doch wenigstens war dieses Mal der Dom verschont worden.
    Die Bürger verfielen in eine trostlose Starre und auch Widukind wurde von dieser Lähmung erfasst. Erschöpft schleppte er sich zu seinem Haus, dankbar, dass es noch stand, genauso wie die Häuser seiner Nachbarn. Dort warf er seine Kleider weg, die nach Feuer und Tod stanken, wusch sich und legte sich nackt ins Bett, wo er bis zum nächsten Abend schlief. Dabei träumte er von seiner Madonna, die immer noch unvollendet war, weil ihm die Inspiration gefehlt
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