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Das Blut der Rhu'u

Das Blut der Rhu'u

Titel: Das Blut der Rhu'u
Autoren: Mara Laue
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gespielt, den Spieß umzudrehen und jeden aus der Gemeinschaft des Lichts zu vernichten, der auf der Erde lebte. Die Macht dazu besaß er. Ein wohlplatzierter Todeszauber, und sie würden sterben wie die Fliegen, ohne je zu erfahren, was sie getötet hatte. Er tat es nicht. Menschen zu töten lag nicht in der Natur seiner Art.
    Cal war ein Inkubus, einer der Dämonen, die sich vom Sex ernährten. Als Gegenleistung für die Nahrung schenkten sie den Menschen unbeschreibliche sexuelle Freude, aber sie brachten sie nicht um. Außerdem würde die Vernichtung der Gemeinschaft nichts bringen, weil der eigentliche Feind im Hintergrund sofort neue Schergen rekrutieren würde, um Cals Familie zu jagen. Wodurch sie vom Regen in die Traufe kämen. Die Gemeinschaft des Lichts war eine vertraute Größe, die sie einschätzen konnten. Ein neuer Feind dagegen könnte tödlich sein.
    Ein erschrockener Schrei, dem unmittelbar ein zweiter folgte, ließ ihn zusammenfahren. Oben klappte eine Tür.
    »Dad!« Cayelu kam die Treppe heruntergestürmt. Cassilya folgte ihm auf dem Fuß. »Dad, ich hab sie wieder gesehen.«
    »Ich habe sie auch gesehen.« Cassilya nickte heftig zur Bestätigung.
    Cal musste nicht fragen, wer »sie« war. Cayelus primäre magische Fähigkeit – außer denen, die ihrer gesamten Art angeboren waren – lag auf dem Gebiet der Spiegelmagie. Spiegelnde Oberflächen offenbarten ihm Dinge, die selbst Cal verborgen blieben. Schon als Kind hatte Cayelu manchmal im Spiegel ein Mädchen gesehen, das, wie er sagte, sein Ebenbild war, und in dem Zusammenhang das Gefühl gehabt, dass sie seine »fehlende Hälfte« wäre. Irgendwann, Cayelu musste ungefähr acht gewesen sein, hatten die Visionen aufgehört, als er begonnen hatte, seine magischen Kräfte zu entwickeln. Außerdem war zu dem Zeitpunkt bereits Cassie da gewesen, und sein »Job« als großer Bruder hatte ihn das Spiegelmädchen vergessen lassen.
    Dass die Vision jetzt wieder auftauchte, noch dazu im Kielwasser einer drohenden Gefahr, war nicht nur ungewöhnlich, sondern ließ Cals innere Alarmsirenen Sturm klingeln. Und dass Cassie sie ebenfalls gesehen hatte, bedeutete ohne jeden Zweifel, dass das Mädchen aus dem Spiegel nicht aus Cayelus Geist und Magie geboren worden war, sondern dass sie real existierte.
    Cal forderte die beiden mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen, und setzte sich in seinen Lieblingssessel am Fenster. »Beschreibe mir, was du gesehen und gefühlt hast«, bat er seinen Sohn, »und zwar jedes Detail.«
    »Ich bin ins Bad gegangen, um mir die Hände zu waschen. Als ich aufgesehen und in den Spiegel geblickt habe, war sie da. Ihr Gesicht war nass und sie war sehr erschrocken. Sie hat mich auch gesehen, Dad. Und, verdammt, sie sieht immer noch so aus wie ich. Nur ist sie natürlich kein Kind mehr, sondern erwachsen. Eine Schönheit. Und«, er sah Cal in die Augen, »sie ist mein fehlender Teil. Ich habe es deutlich gespürt, als ich ihre Hand berührt habe.«
    »Du hast ihre Hand berührt?«
    Cayelu nickte. »Ich habe meine Hand gegen den Spiegel gelegt und sie hat dasselbe getan. Ich schwöre dir, Dad, wir haben einander real berührt. Und wir sind dadurch verbunden worden. Wie wenn ...« Er suchte nach einem passenden Vergleich. »Wie wenn man das Wasser aus zwei Schalen in einer einzigen vereint.« Er blickte Cal anklagend an. »Verdammt, Dad, warum hast du mir nie gesagt, dass ich eine Zwillingsschwester habe? Und warum lebt sie nicht bei uns? Warum hast du mich all die Jahre in dem Glauben gelassen, dieses elende Gefühl der Unvollständigkeit läge daran, dass ich zur Hälfte ein Mensch bin? Dabei war von Anfang an sie der Teil, der mir fehlt.«
    Cal hatte das Gefühl, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Was Cayelu beschrieben hatte, war so eindeutig das Band des Blutes, dass das nur den einen Schluss zuließ, den sein Sohn gerade gezogen hatte: Cayelu hatte eine Zwillingsschwester. »Das habe ich nicht gewusst.« Cal schüttelte den Kopf. »Auf mein Wort, das habe ich nicht gewusst.«
    Er erinnerte sich noch gut an die ersten Wochen nach Cayelus Geburt. Mirjana war sehr traurig und verzweifelt und oft in Tränen aufgelöst gewesen. Er hatte das dem »Baby-Blues« zugeschrieben, der Wochenbettdepression. Doch bei Mirjana war sie heftiger gewesen als bei anderen Frauen und hatte bis zu ihrem Tod nicht aufgehört. Sie hatte Cayelu bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Arm gehalten oder ihn, wenn er in seinem
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