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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer
Autoren: Rosamunde Pilcher
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„Ich ruf Tom Sawcombe nicht an.“
    „Warum nicht?“
    „Weil ich nicht will, darum. Ruf du ihn doch an.“
    Toby wußte, weshalb sie Tom nicht anrufen wollte. Weil sie Silvester so gräßlich zu ihm gewesen war und weil er seitdem nicht mehr mit ihr gesprochen hatte.
    Toby rümpfte die Nase. „Was soll ich sagen, wenn Mrs. Sawcombe ans Telefon geht?“
    „Schön, dann soll Mutter ihn anrufen.“
    „Sie hat keine Zeit, weil sie nach dem Essen zu Mrs. Saw combe geht.“
    „Wieso läßt sie es Tom dann nicht ausrichten?“
    „Tut sie ja, hat sie gesagt.“
    „Ach Toby“, sagte Vicky wütend, „wozu dann das ganze Theater?“
    Er sagte störrisch: „Mr. Sawcombe wollte es immer am lieb sten sofort wissen.“
    Vicky zog die Stirne kraus. „Mit Daisy ist doch nichts schief gegangen?“ Sie hatte Daisy genauso gern wie Toby, und sie hörte sich jetzt nicht mehr mürrisch und schnippisch an, sondern sprach mit ihrer normalen, netten Stimme.
    „Ich glaube nicht.“
    „Dann ist ja alles gut.“ Sie schaltete das Bügeleisen ab und stellte es zum Abkühlen aufrecht auf das Bügelbrett. „Gehen wir runter, essen. Ich bin am Verhungern.“
     
     
    Die spärlichen Wolken vom Vormittag verdichteten sich und wurden dunkler, und nach dem Mittagessen begann es zu reg nen. Tobys Mutter zog einen Regenmantel an und fuhr in ihrem Auto mit einem großen Strauß Narzissen Mrs. Sawcombe besuchen. Vicky sagte, sie ginge sich die Haare wa schen. Toby, der nichts Rechtes anzufangen wußte, zockelte in sein Zimmer, legte sich aufs Bett und fing ein Buch zu lesen an, das er sich aus der Bücherei geholt hatte. Es handelte von Er forschern der Arktis, aber er hatte das erste Kapitel noch nicht zu Ende gelesen, als er vom Geräusch eines Autos unterbro chen wurde, das den Feldweg entlangkam und knirschend auf dem Kies vor der Haustür anhielt. Er legte sein Buch beiseite und ging zum Fenster. Draußen stand Tom Sawcombes alter Landrover, und dann sah er Tom aussteigen.
    Er öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus. „Hallo.“
    Tom guckte nach oben. Toby sah seinen blonden, mit Regentropfen beperlten Lockenkopf, sein braunes Gesicht und die blauen Augen, seine breiten Rugby-Schultern unter der ge flickten Khakijacke, die er immer zur Arbeit trug. Seine ver blaßten Bluejeans steckten in grünen Gummistiefeln.
    „Deine Mutter hat mir wegen Daisy Bescheid gesagt. Ich will mal nach ihr sehen. Ist Vicky da?“
    Das war verwunderlich. „Sie wäscht sich die Haare.“
    „Kannst du sie holen? Ich bin nicht sicher, ob nicht noch ein Lamm unterwegs ist, und dann brauche ich Hilfe.“
    „Ich helf dir.“
    „Ich weiß, junge, aber du bist ein bißchen klein, um ein altes Schaf wie Daisy festzuhalten. Geh lieber Vicky holen.“
    Toby zog sich vom Fenster zurück und tat wie geheißen.
     
     
    Er fand Vicky im Badezimmer. Sie hielt den Kopf ins Waschbecken und spülte ihre Haare mit der Brause.
    „Vicky, Tom ist da.“
    Vicky drehte das Wasser ab und richtete sich auf. Ihre hellen Haare tropften auf ihr T-Shirt. Sie schob sie aus dem Gesicht und sah Toby an.
    „Tom? Was will er?“
    „Er meint, Daisy hat vielleicht noch ein Lamm im Bauch. Er sagt, er braucht Hilfe, und ich bin nicht groß genug, um sie fest zuhalten.“
    Sie griff sich ein Handtuch und wand es sich um den Kopf. „Wo ist er?“
    „Unten.“
    Schon war sie aus dem Badezimmer und lief die Treppe hin unter. Tom wartete unten; er war einfach ins Haus gegangen, wie in alten Zeiten, bevor er und Vicky sich zerstritten hatten.
    „Wenn noch ein Lamm da ist“, meinte Vicky, „ist es dann nicht längst tot?“
    „Wir werden sehen. Hol einen Eimer Wasser, sei so lieb, und Seife. Bring alles auf die Weide. Komm, Toby, du gehst mit mir.“
    Draußen goß es jetzt in Strömen. Sie gingen den Feldweg entlang, überquerten bei den Rhododendren das hohe, nasse Gras, dann kletterten sie über den Zaun. Durch den Regen schleier konnte Toby Daisy auf sie warten sehen. Sie war auf den Beinen, schützte das Lämmchen und streckte ihnen den Kopf entgegen. Als sie näher kamen, gab sie ein tief aus der Brust kommendes Geräusch von sich, das in keiner Weise an ihr übliches gesundes Blöken erinnerte.
    „Ruhig, Mädchen, ruhig.“ Tom sprach mit sanfter Stimme. „Ist ja gut.“ Er ging geradewegs zu ihr und griff ohne Um schweife nach ihren Hörnern. Sie wehrte sich nicht wie sonst, wenn jemand das machte. Vielleicht wußte sie, daß sie Hilfe brauchte und daß Tom und Toby
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