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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Sawcombes.“
    Toby sagte nichts darauf. Er wußte, was das bedeutete. Wil lie und Mr. Sawcombe waren ihr Leben lang Freunde gewesen, sie waren Kegelbrüder und sonntags zusammen Kirchendie ner gewesen. Jetzt mußte Willie… Toby scheute sich zu Ende zu denken, was Willie tun würde.
    „Willie?“
    „Ja?“
    „Mr. Sawcombe ist tot.“
    „Hab mir gedacht, daß du es weißt“, sagte Willie mitfüh lend. „Hab’s deinem Gesicht angesehen, gleich als du reinge kommen bist.“ Er stellte seine Teetasse hin und legte Toby seine Hand auf die Schulter. „Du darfst dich nicht grämen. Ich weiß, du wirst ihn vermissen, aber du darfst dich nicht grämen. Vermissen werden wir ihn alle“, fügte er hinzu, und plötzlich hörte er sich unglücklich an.
    „Er war mein bester Freund.“
    „Ich weiß.“ Willie schüttelte den Kopf. „Freundschaft ist was Komisches. Du, ein kleiner Knirps – wie alt bist du? Acht Jahre. Trotzdem seid ihr zwei prima miteinander ausgekom men. Wir dachten immer, das lag daran, daß du so viel dir selbst überlassen warst. Warst ja viel kleiner als Vicky. Kleiner Nachkömmling, haben Bill und ich dich immer genannt. Hardings kleiner Nachkömmling.“
    „Willie… machst du einen Sarg für Mr. Sawcombe?“
    „Werd ich wohl.“
    Toby stellte sich vor, wie Willie den Sarg machte, wie er das Holz auswählte, es glatthobelte, seinen alten Freund in das warme, duftende Innere bettete, ganz so, als ob er ihn ins Bett legte. Eine seltsam tröstliche Vorstellung war das.
    „Willie?“
    „Was gibt’s?“
    „Ich weiß, wenn einer stirbt, kommt er in einen Sarg und wird auf den Friedhof getragen. Und ich weiß, Leute, die tot sind, gehen zu Gott in den Himmel. Aber was passiert dazwi schen?“
    „Ah“, sagte Willie. Er nahm noch einen Schluck Tee, trank seine Tasse leer. Dann legte er seine Hand auf Tobys Kopf und zauste ihm ein bißchen die Haare. „Vielleicht ist das ein Geheimnis zwischen Gott und mir.“
    Toby hatte noch immer keine Lust, mit David zu spielen. Als Willie in seinem kleinen Lieferwagen zu Sawcombes gefahren war, machte sich Toby auf den Nachhauseweg, weil ihm nichts anderes einfiel. Er nahm die Abkürzung über die Schafweide. Die drei Mutterschafe, die schon gelammt hatten, grasten mitten auf der Weide, umgeben von ihren Kindern. Aber Daisy hatte sich in eine Ecke zurückgezogen, in den Schatten einer großen Waldkiefer, wo sie vor dem Wind und der blendenden Frühlingssonne geschützt war. Und neben ihr stand, winzig wie ein Hundejunges, auf unsicheren Beinen schwankend, ein einziges Lämmchen.
    Toby wußte, daß er jetzt nicht in ihre Nähe durfte. Er beob achtete sie ein Weilchen, sah das Baby den riesigen wolligen Leib mit der Schnauze nach Milch absuchen, hörte Daisy sachte mit ihrem Baby sprechen. Er war hin und her gerissen zwischen Freude und Enttäuschung. Freude, weil das Lamm gesund auf die Welt gekommen war, und Enttäuschung, weil es keine Zwillinge waren und Mrs. Sawcombe jetzt nicht auf ihre zweihundertprozentige Lammung kam. Daisy legte sich nach einer Weile schwerfällig nieder. Das Lamm ließ sich ne ben sie fallen. Toby ging weiter, stieg über den Zaun und trat ins Haus, um es seiner Mutter zu erzählen. „Daisy hat ihr Lamm gekriegt. Das war das letzte.“
    Seine Mutter stampfte gerade Kartoffeln fürs Mittagessen. Sie drehte sich am Herd zu Toby um. „Keine Zwillinge?“
    „Nein, bloß eins. Es nuckelt und sieht ganz gesund aus. Viel leicht sollten wir es Tom sagen.“
    „Warum rufst du ihn nicht an?“
    Aber Toby mochte nicht bei Sawcombes anrufen. Vielleicht ging Mrs. Sawcombe an den Apparat, und dann wüßte er nicht, was er sagen sollte.
    „Kannst du nicht anrufen?“
    „Ach Liebling, im Moment geht es schlecht. Das Mittag essen ist fertig, aber nachher will ich zu Mrs. Sawcombe und ihr einen Blumenstrauß bringen. Dann kann ich es Tom aus richten lassen.“
    „Ich finde, er muß es gleich wissen. Mr. Sawcombe wollte es immer sofort wissen, wenn die Lämmer kamen. Bloß für alle Fälle, hat er gesagt.“
    „Schön, wenn dir so viel daran liegt, laß Vicky Tom anru fen.“
    „Vicky?“
    „Fragen kannst du sie ja. Sie ist oben, bügeln. Und sag ihr, das Essen ist fertig.“
    Er ging zu seiner Schwester hinauf. „Vicky, Essen ist fertig, und Daisy hat ihr Lamm gekriegt, und könntest du vielleicht bei Sawcombes anrufen und Tom Bescheid sagen. Er will’s be stimmt gerne wissen.“
    Vicky stellte das Bügeleisen mit einem Plumps hin.
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