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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen
Autoren: Monika Feth
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auf.
    »Mit den Zweiflern tue ich mich weniger schwer als mit den ewig Gottesfürchtigen. Was meinst du, in welche Kategorie ich mich selbst einordne?« Er öffnete die Tür. »Solltest du meine Hilfe brauchen, Marlon, komm am Abend, wenn es dunkel ist.«

    Miri fuhr immer wieder auf, vergewisserte sich, dass Jana noch da war, und dämmerte wieder ein. Jana hatte ihr einen frischen Schlafanzug angezogen, aber nach einer halben Stunde war auch der durchgeschwitzt.
    Jana wünschte sich sechs Hände und Arme, um jedem der Mädchen gerecht zu werden. Linn hatte sich schon zweimal erbrochen, Indra hatte so heftigen Durchfall, dass sie es nicht immer rechtzeitig bis zur Toilette schaffte.
    In der Wäschekammer türmte sich ein Berg schmutziger, stinkender Wäsche und auch im Schlafsaal hatte sich ein penetranter Geruch ausgebreitet. Jana öffnete eines der Fenster und sog gierig die frische Luft ein, bevor sie in die Küche ging, um neuen Tee aufzubrühen.
    Sie sehnte die Mittagspause herbei und schämte sich dafür. Die Pflegefrauen taten diese Arbeit Tag für Tag und sie war schon nach ein paar Stunden völlig erschöpft. Es machte ihr zu schaffen, dass sie sich vor dem Geruch im Schlafsaal ekelte, dass es ihr kaum gelungen war, Linns Bett abzuziehen, ohne zu würgen, und dass sie Indras beschmutzte Wäsche mit spitzen Fingern in die Wäschekammer getragen hatte.
    Sie war nicht fähig zu der Liebe, die sie jedem Kind des Mondes entgegenbringen sollte. Ihr Herz war nicht groß genug.
    Indra und Linn schluckten brav ihre Medizin. Miri schlug um sich. Der Löffel flog durch die Luft und landete klirrend auf dem Boden. Miris Kinn war schwarz verschmiert, auch auf der Bettdecke waren schwarze Flecken.
    Jana wollte Miri das Gesicht waschen, aber Miri wand sich.
    »Geh weg! Geh weg! Lass mich!«
    Jana fand den Rekorder auf einer Konsole an der hinteren Wand des Schlafsaals. Sie legte eine Kassette ein.
    Und allmählich beruhigte Miri sich wieder, trieb auf den Klängen der Musik davon in einen der Träume, die sie nach kurzer Zeit schweißgebadet wieder aufschrecken ließen.

    Marlon ging am Rand der Lichtung auf und ab. Die Warterei machte ihn fertig. Allmählich fing er an, seine Arbeit zu vernachlässigen, die zu Hause und auch die für die Schule.
    »Willst du schon wieder weg?«, hatte sein Vater ihn gefragt.
    Die morschen Bretter der Karnickelställe mussten ausgetauscht und die Wände des Kuhstalls geweißt werden. Sie hatten sich vorgenommen, die Fenster des Hauses abzudichten, bevor der Winter kam, und die Waschmaschine zu reparieren, die nicht mehr richtig schleuderte.
    »Nur ganz kurz«, hatte Marlon geantwortet und war gegangen, bevor sein Vater weitere Fragen stellen konnte.
    Der Sonntag war günstig. Jana fand ganz sicher eine Möglichkeit, sich wegzustehlen. Aber wann? Marlon wartete nun schon seit zwei Stunden. Er hatte sich überlegt, später noch einmal wiederzukommen, und war dann doch geblieben. Die Vorstellung, Jana zu verpassen, war ihm unerträglich.
    Er freute sich darauf, ihr Gesicht zu beobachten, wenn er ihr von den Neuigkeiten erzählte. Dass ihre Vermutung richtig gewesen war. Dass Mara und Timon nicht auf sich allein gestellt waren. Dass sie gute Chancen hatten, unentdeckt zu bleiben.
    Doch Jana musste erst einmal kommen.
    Marlon nahm sich vor, noch eine halbe Stunde zu warten. Und sich keine Sorgen zu machen. Aber das war nicht so einfach.

    »Kann Miri nicht etwas gegen die Schmerzen bekommen?«, fragte Jana.
    »Sie hat alles, was sie braucht«, antwortete Judith und sortierte die schmutzige Wäsche. Sie würgte nicht, wandte das Gesicht nicht ab, verzog nicht einmal die Lippen. »La Lune kommt heute Nachmittag, um mit ihr zu beten und ihr die Hand aufzulegen.«
    »Und wenn das nicht ausreicht?« Jana war an der Tür stehen geblieben. Sie atmete nur ganz flach. Der Gestank drehte ihr den Magen um. »Wenn ihre Krankheit schlimmer ist, als La Lune glaubt?«
    Judith sah sie mit einem sonderbaren Ausdruck an.
    »Zweifelst du?«
    Jana ließ den Kopf sinken.
    »Nein. La Lune weiß, was sie tut.«
    »Dann geh jetzt«, sagte Judith. »Und komm nach dem Essen wieder.«
    Es war noch ein wenig Zeit bis zum Mittagessen. Jana ging in die Bibliothek.
    »Du siehst müde aus«, sagte Gertrud.
    »Bin ich auch. Ich könnte im Stehen einschlafen.«
    »Wie geht es Miri?«
    »Schlecht. Sie hat große Schmerzen und hohes Fieber.« Die friedliche kleine Küche übte wieder ihren Zauber aus. Vielleicht, dachte Jana,
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