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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild
Autoren: Stephen King
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Thomas, wo sie ihre vie rzehntägigen Flitterwochen verbringen wollen, und obwohl
sie das kleine blaue Bündel zu Hause gelassen hat, auf dem
Boden der Handtasche, die sie aus Ägypten mitbrachte, hat
sie das Keramikfläschchen dabei. Ein Instinkt
- weibliche
Intuition ist in diesem Fall als Name dafür so gut wie jeder
andere auch, überlegt sie sich - hat ihr dazu geraten. Sie hat
es zweimal nach ähnlichen Alpträumen hervorgeholt, und
am nächsten Morgen, als Bill sich rasiert, kippt sie ihm den
letzten Tropfen in den Kaffee.
    Das muß genügen, denkt sie später, als sie das leere Fläschchen in die Toilette wirft und runterspült. Und wenn es nicht
genügt, kann man auch nichts machen.
Die Flitterwochen sind perfekt
- viel Sonne, viel guter Sex,
und für keinen von beiden Alpträume.
     
3
    Im Januar, an einem Tag, als der Wind Schneeschauer über
die Ebenen und die Stadt weht, verrät Rosie Steiners
Schwangerschaftstest, was sie bereits weiß, daß sie ein Baby
bekommen wird. Und sie weiß noch etwas, das ihr der Test
nicht verraten kann: Es wird ein Mädchen.
    Caroline ist endlich unterwegs.
Alles hängt nun vom Gleichgewicht ab, denkt sie mit einer
Stimme, die nicht ihre eigene ist, als sie am Fenster ihres
neuen Apartments steht und in das Schneetreiben hinausschaut. Es erinnert sie an die neblige Nacht im Bryant
Park, als sie beide nach Hause kamen und Norman ihnen
auflauerte.
Ja, ja, ja, denkt sie, inzwischen fast gelangweilt von dem
Gedanken; er kehrt ständig wieder, wie ein Ohrwurm von
einer Melodie, der einem nicht mehr aus dem Kopf geht. Es ist im Gleichgewicht, solange ich den Baum nicht vergesse,
richtig?
Nein, antwortet die Irre mit einer so unfaßbar klaren
Stimme, daß Rosie auf den Absätzen herumwirbelt, während ihr das Herz übelkeiterregend bis in die Stirn hinauf
schlägt, und einen Moment überzeugt ist, daß Rose Madder
bei ihr im Zimmer steht. Die Stimme ist zwar noch da, aber
niemand sonst ist in dem Zimmer. Nein … solange du die
Beherrschung nicht verlierst. Solange du das schaffst. Aber das
läuft beides auf dasselbe hinaus, oder nicht?
»Raus«, sagt sie zu dem leeren Zimmer, und ihre heisere
Stimme bebt. »Raus, du Miststück. Bleib mir vom Leibe. Verschwinde aus meinem Leben.«
4
    Ihr Baby wiegt dreitausendachthundertvierundachtzig
Gramm. Obwohl Caroline ihr heimlicher Name ist und
immer sein wird, steht in der Geburtsurkunde Pamela Gertrude. Zuerst erhebt Rosie Einwände und behauptet, daß der
zweite Vorname des Kindes in Verbindung mit ihrem Nachnamen zu einer literarischen Anspielung werden wird. Sie
plädiert, ohne große Begeisterung, für Pamela Anna.
    »Oh, bitte«, sagt Bill, »das klingt wie ein Obstdessert in
einem snobistischen kalifornischen Restaurant.«
»Aber -«
»Und mach dir keine Gedanken wegen Pamela Gertrude.
Erstens wird sie nicht einmal ihrer besten Freundin je anvertrauen, daß ihr zweiter Vorname Gert ist. Und zweitens hat
die Schriftstellerin, die du meinst, einmal gesagt, eine Rose
ist eine Rose ist eine Rose. Einen besseren Grund, bei diesem
Namen zu bleiben, kann ich mir nicht vorstellen.«
Also bleiben sie dabei.
5
    Kurz vor Pammys zweitem Geburtstag, beschließen ihre
Eltern, ein Haus in einem Vorort zu kaufen. Inzwischen können sie es sich leisten; beide sind in ihrem jeweiligen Beruf
erfolgreich. Sie fangen mit Stapeln von Broschüren an, die sie
langsam auf ein Dutzend Möglichkeiten reduzieren, dann
sechs, dann vier, dann zwei. Und da fangen die Schwierigkeiten an. Rosie will das eine; Bill das andere. Diskussionen
werden zu Debatten, als die Fronten sich verhärten, und die
Debatten weiten sich zu einem handfesten Streit aus - traurig, aber nicht ungewöhnlich; nicht einmal die liebevollste
und harmonischste Ehe ist vor einem gelegentlichen Zank
sicher … oder, in diesem Fall, einem gegenseitigen Anschreien.
    Am Ende dieses Streits geht Rosie in die Küche und fängt
an, das Essen zuzubereiten; zuerst schiebt sie das Huhn in
den Ofen, dann stellt sie Wasser für die Maiskolben auf, die
sie frisch an einem Stand am Straßenrand gekauft hat. Eine
Weile später, als sie gerade am Tresen neben dem Herd Kartoffeln schält, kommt Bill aus dem Wohnzimmer, wo er sich
Fotos von Häusern angesehen hat, die der Grund für diese
ungewohnte Meinungsverschiedenheit sind … aber in Wirklichkeit hat er über den Streit nachgedacht.
    Sie dreht sich nicht um, als sie ihn kommen hört, wie sonst
immer; auch nicht, als er sich bückt und ihr einen Kuß in
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