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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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Kuß, so glaubte er deutlich gefühlt zu haben, war diese Haut haarfein angerissen. Sie hielt noch, aber bald würde er sie mit einer einzigen Wendung seiner Schultern abstreifen und als ein ganz anderer dastehen, wie meine Tante nicht nur ganz anders war als andere Frauen, sondern darüber hinaus auch noch verborgene Eigenschaften besaß, von denen er wahrscheinlich als erster einen tiefen Eindruck erhalten hatte. Freilich fühlte er auch ihre Überlegenheit, und er nahm in seinen Gedanken gern in Kauf, daß sie noch eine ganze Weile andauern würde, so lange, bis er auch die letzten Schuppen der alten Existenz verloren hatte.
    Stephan liebte meine Tante, obwohl sie keine elegante Frau war. Die Kategorie der Eleganz bestand für sie überhaupt nicht, weil das Zeitgebundene der Erscheinungen nur wahnbildhaft an ihr vorüberzog und dann den Blick wieder auf die Wurzeln der Existenz freigeben mußte. Dieser Blick würde meine Tante auch in die Lage versetzen, zu erkennen, daß Florence nicht für Stephan |480| mitgesprochen hatte, wenn sie ihre Reisepläne verkündete. Es war doch genaugenommen gar nicht seine Schwäche, die Schuld daran trug, daß Florence noch immer glaubte, er würde sie allen Ernstes, nachdem er ihr zum zweitenmal in seinem Leben entkommen war, nun wieder brav nach Hause begleiten. Schadenfreude erfüllte ihn, wenn er daran dachte, daß Florence jetzt bald erfahren würde, daß dieses Bestimmen über seinen Kopf hinweg einmal nicht den Erfolg hatte, den sie sonst gewohnt war. Sie würde vor Tiroler hintreten und eingestehen, daß ihre Mission gescheitert sei. Dann könnten die beiden in gewohnter Manier dieses skandalöse Verhalten in alle Unendlichkeit drehen und wenden, und er würde ihnen bei dieser Lieblingsbeschäftigung, auf die es ihnen doch ganz allein ankam, auch nicht mehr eine Minute lang im Wege stehen. Nein, niemand konnte behaupten, daß er seine Zustimmung zu den Plänen seiner Mutter gegeben habe, und auch sie selbst würde sich, wenn sie ehrlich mit sich war, in bezug auf seine deutliche Zurückhaltung nichts vormachen können. Sicher würde in weiter Zukunft wieder einmal der Tag kommen, an dem vielleicht sogar ein Zusammenleben erneut möglich war. Bis dahin müßte sich Stephan allerdings ganz und gar frei entfaltet und die Dominationsfrage ein für allemal erledigt haben.
    Für Agnes war ebenfalls kein Raum mehr in Stephans Gedanken. Wenn Florence jetzt bei Agnes das Zimmer besichtigte, in das er sich geflüchtet hatte, als er New York verließ, dann sah sie etwas Vergangenes, und es machte ihm gar nichts aus, wenn sie mit ihrem ärztlichen Berater gründlich darüber sprach. Was er Florence früher, bevor er meine Tante kennenlernte, sorgfältig verbergen wollte, das mochte sie seinetwegen nun ruhig entdecken. Wie in der Zeit der alten Kriege berittene Kundschafter sich vorsichtig einem Lager des Feindes näherten, um seine Stärke abzuschätzen, und dann oft nur kalte Feuerstellen, niedergetretenes Gras und eingetrocknete Pferdeäpfel fanden, weil der Feind längst abgezogen war, so lag nun für einen neugierigen Besucher auch das Bett der Agnes da, denn Stephan hatte sich aus ihm erhoben, um nicht mehr dorthin zurückzukehren. Es |481| kam ihm vor, als sei dies Ruhen im Bett der alten Agnes ein Kapitel aus unvordenklichen Zeiten, die zu beschwören eigentlich nicht mehr möglich war.
    Dabei hatte Stephans Abwendung von Agnes nichts mit ihr zu tun. Er war nicht zornig auf sie. Er fühlte sich auch nicht von ihr beherrscht oder bedrängt. Es war nur einfach so, daß ihre Aufgabe als Fluchtburg vorbei war, und zwar einerseits, weil Florence sie aufgestöbert hatte, und andererseits, weil er in Zukunft keinen Bedarf mehr an Fluchtburgen haben würde. Agnes brauchte zum Glück keine Erklärungen. Für sie war es gleich, ob er kam oder ob er wegblieb, wie es für das Gras gleich ist, ob die Sonne scheint oder ob es regnet. Er könnte Agnes natürlich etwas zukommen lassen als Dank, wie man bürgerlicherweise wohl sagen würde, obwohl Dankbarkeit in ihrer Beziehung nicht richtig vorgesehen war. So kam es, daß sich Agnes, die mit nichts dergleichen gerechnet hatte, später dennoch im Besitz eines für ihre Verhältnisse großen Betrages sah, der sich durch die Addition der Schenkungen von Mutter und Sohn, die ihre Spenden aus guten Gründen voreinander geheimhielten, ergab.
    Obwohl Florence die in ihren Kreisen gelegentlich anzutreffende Sentimentalität gegenüber dem Elend der
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