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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers
Autoren: Philip Pullman
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begnügt.
    »Ist das das richtige Papier? Habe ich Ihnen nicht aus Versehen die Wäscheliste
gegeben?« Ihre Stimme klang bitter. Becky gab ihr die Urkunde zurück und fragte
sich, ob sie jetzt einen Hofknicks machen sollte.
»Ich bin sprachlos«, gestand sie.
     
»Wirklich? Und ich sitze in der Tinte. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
    »Aber wie ... warum?«
»Er bestand darauf. Und er ist so ein lieber Mann. Wenn man durchgemacht hat,
was ich alles durchgemacht habe, dann sagt man nicht Nein, wenn man so eine
Chance erhält. Dennoch, ich weiß, ich hätte Nein sagen sollen.«
    »Aber warum gerade Manchester?« »Weil es weitab vom Schuss liegt. Es musste
eine katholische Kirche
sein,
klar,
und
er wollte nicht,
dass
jemand
dahinter
kommen und die Heirat noch hätte verhindern können. Deshalb konnten wir nicht in
London heiraten. Also sind wir in diese altmodische rußige Kirche gleich hinter einer
Fabrik gegangen. Die Trauzeugen haben wir auf der Straße aufgelesen, die wussten
über nichts Bescheid. Der Pfarrer war ein tatteriger alter Mann, der obendrein nach
Whisky roch. Er wischte sich die Nase am Ärmel ab und hoffte, wir würden das nicht
merken. Aber die Ehe ist gültig, alles juristisch wasserdicht. Und ich bin eine echte
Prinzessin, Becky. Darf ich dich duzen? Du brauchst mich auch nicht Hoheit zu
nennen. Adelaide reicht völlig.« »Aber ... weiß sonst noch jemand davon? Die
königliche Familie? Der Hof? Das Volk? Was werden sie sagen, wenn sie davon
erfahren?«
Miss Bevan warf die Arme hoch und lümmelte sich wieder auf das Sofa.
     
»Keine Ahnung«, sagte sie bloß.
     
Becky kam aus dem Staunen nicht heraus.
     
Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr staunte sie.
    Die Heiralreines Prinzen war eine Angelegenheit der internationalen Politik, die
Könige und Staatsmänner betraf; Botschafter mussten konsultiert, Verträge geschlossen und alle möglichen dynastischen und diplomatischen Folgen bedacht
werden. Welcher Teufel musste diesen Prinzen geritten haben, sich in ein ungebildetes Londoner Mädchen von der Straße zu vergaffen, es mit nach Manchester zu
nehmen und dort heimlich zu heiraten? Vielleicht war er genauso naiv wie Becky, als
sie ihre erste Zigarette mit diesem Metzger-Romeo gepafft hatte ? Und außerdem ...
»Du dachtest, ich hätte noch nie von Raskawien gehört«, sagte sie herausfordernd.
»Aber ich kenne Raskawien, ich bin nämlich dort geboren und Bürgerin des Landes.«
     
Jetzt starrte Miss Bevan sie an. Dann bekam sie einen Temperamentsausbruch.
    »Du bist eine Spionin!«, rief sie, sprang auf und stampfte mit den Füßen auf das
gebohnerte Parkett. »Du bist hergekommen, um deine neugierige Nase in alles zu
stecken. Wer bezahlt dich, na? Auf welcher Seite stehst du? Auf der Seite der
Deutschen? Der Österreicher? Wenn ich eine Pistole hätte, würde ich dich über den
Haufen schießen, du Luder, du miese kleine Heuchlerin. So eine Frechheit! Wie
kannst du es wagen, hier hereinzuspazieren, die Unschuld vom Lande zu spielen und
dabei die ganze Zeit -« »Jetzt halt aber mal den Rand«, zischte Becky. Sie hatte
diesen Ausdruck irgendwo gehört, nie benutzt, aber jetzt tat er seine Wirkung. Miss
Bevan hielt verdutzt inne und schwieg widerwillig.
    Becky fuhr fort: »Untersteh dich, so mit mir zu reden. Ich bin Raskawierin. Ich hatte
keine Ahnung, wer der Prinz ist, und eine Spionin bin ich schon lange nicht. Glaubst
du etwa, dass ich den Prinzen meines Landes verraten würde?«
»Was machst du dann in England?«
     
»Wir leben im Exil.«
     
»Warum?«
     
»Das hat nichts mit dir zu tun.«
    »Hat es doch, denn ich bin die verdammte Prinzessin. Ich habe ein Recht zu wissen,
wer mir Unterricht gibt. Nun setz dich schon und hör auf, so ein böses Gesicht zu
machen. Im Übrigen glaube ich nicht, dass du eine Spionin bist. Dafür wirst du zu
schnell rot.« Becky sog ärgerlich die Luft ein und setzte sich. Sie hatte gar nicht
bemerkt, dass sie aufgestanden war. »Also schön«, begann sie. »Ich erzähle dir,
warum
wir
hier
im
Exil
leben.
Mein
Vater war
Rechtsanwalt
und
wollte eine
Bewegung für Demokratie ins Leben rufen. Man hat ihn verhaftet und ins Gefängnis
geworfen. Dort ist er an Typhus erkrankt und gestorben. Daraufhin ist meine Mutter
mit mir und meiner Großmutter nach England gekommen. So war das.« »Dann
stehst du wohl kaum auf der Seite des Prinzen, nehme ich mal an.«
»Nicht die königliche Familie hat meinen Vater verhaftet, sondern der Hof. Ich
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