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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin
Autoren: Victoria Hanley
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frisches Blut darunter hervorquoll. Vorsichtig massierte Landen seine Handgelenke. Torina trat auf ihn zu. „Mein Vater hat Euren Vater besiegt." Sie sprach sehr leise, sprach ihn an, als stünden weder König noch Krieger in der Nähe. In diesem Moment fühlte sie sich mit ihm ganz allein.
    Landen blickte zu Boden, an seinem Hals pochte eine Ader wie bei einem frisch geschlüpften Vögelchen. „Landen", flüsterte sie, „ich habe niemals einen Sklaven besessen."
    Der Junge stand still da.
    „Und ich werde auch niemals einen Sklaven besitzen", fuhr sie fort und reckte das Kinn. „Papa", sprach sie mit erhobener Stimme, „Ihr habt ihn mir geschenkt. Ich schenke ihm die Freiheit."
    Kareeds Stirn verfinsterte sich, ein Zornesausbruch kündigte sich an. Als Vesputo ihm vorgeschlagen hatte, Landen zum Sklaven zu machen, wollte er ein Zeichen setzen und Bellandra erniedrigen. König Veldon hatte lang genug mit seinem Zauberschwert geprahlt und auf die kriegerischen Nachbarn herabgesehen. Prinz Landen von Bellandra, einziger Sohn von König Veldon, der Sklave seiner Tochter! Das würde Eindruck machen. Und nun warf sie ihm das teuer erstandene Geschenk zu Füßen! Ein Jahrhundert lang hatte keiner den Mut gehabt, Bellandra anzugreifen. Er, Kareed, hatte es gewagt Er spürte die vertraute Kampfeswut in sich aufsteigen, er wollte Torina schlagen. Dort stand sie, klein und weiß und bleich. Doch etwas in der Art, wie sie die Hände ineinander verschränkte, erinnerte ihn an ihre Mutter, als er ihr mitteilte, dass er in den Krieg ziehen wollte. Kareed dachte daran, wie Dreea ihn angefleht hatte Bellandra zu verschonen. Frauen verstanden nichts vom Krieg. Sie verstanden nichts von Schlachten, nichts von Prinzen oder Königen. Er seufzte. Vielleicht hat dieser Krieg mein Urteilsvermögen getrübt. Torina weiß, dass ich keine Sklaven halte. Und auch ohne diesen Jungen ist mein Sieg über Bellandra vollkommen. Nun, er ist auch erst dreizehn - fast noch ein Kind. Der König zwang sich zu einem Lächeln und entrang sich ein Lachen. „Bei meinem Helm!", verkündete er in seiner Kriegerstimme, „sie ist wahrlich die Tochter eines Königs!"
    Ein leichter Wind nahm das allgemeine Aufseufzen im Schlosshof auf und trug es davon. Die Männer gingen wieder ihrer Arbeit nach, brachten die Pferde in die Ställe, ölten die Waffen und versorgten die ledernen Kampfanzüge.
    Inmitten dieser Geschäftigkeit standen Torina und Landen wie auf einem einsamen Fels in der Brandung. Er rieb mit zitternder Hand seine Gelenke, seine Brust hob und senkte sich wie ein Blasebalg. Das Mädchen an seiner Seite tat, als achte sie nicht darauf und schaute an ihm vorbei zu den fernen Hügeln. Vesputo entfernte sich. Die junge Prinzessin sprach liebevoll zu ihrem Vater und winkte Landen zu sich.
    Landen spürte, wie seine Knie beim Anblick des Mörders seines Vaters bebten. Er erinnerte sich der mächtigen Faust, die ihn in der Schwertkammer gegen den unbarmherzigen Stein geschleudert hatte. „Landen." Die raue Stimme des Königs klang beinahe freundlich.
    „Herr." Das Wort klang ihm wie Verrat. „Ihr gehört ab sofort zu meinem Hofstaat. Ihr werdet mit den anderen Jungen in der Kriegskunst unterrichtet."
    Dem fremden Prinz stockte der Atem. Die letzten Worte seines sterbenden Vaters klangen in seinen Ohren. Finde einen, der dich kämpfen lehrt.
    Kareed richtete sich auf. „Ich möchte Euch nichts Böses. Die Vergangenheit ist tot und begraben", fügte er mit klarer Stimme hinzu.
    Nicht für mich. Mein Vater ist der, der begraben ist. „Torina", sagte der König barsch, „kümmere dich um den Jungen, er möge essen und sich baden." Kareed drehte sich auf dem Absatz um und ging. Landen spürte eine kleine Hand, die vertraulich seine Finger berührte.
    „Hier entlang", sagte das rothaarige Mädchen, und dann ließ er sich von ihr zum Schloss führen. Selbstsicher schritt die kleine Prinzessin über die Flure bis zu einer kleinen, abgeschiedenen Kammer. Dort ließ sie ihn auf einem weichen Lager Platz nehmen und ging hinaus.
    Landen sah sich um. Zum ersten Mal seit dem Fall Bellandras war er nicht in Fesseln oder eingesperrt. Würde jemand ihn aufhalten, wenn er jetzt hinausliefe? Er war ein guter Läufer. Er könnte sich aufmachen, ein Pferd stehlen und zurück nach Bellandra flüchten. Aber das Schwert? Sein Vater hatte ihm aufgetragen, das Schwert zurückzubekommen. Und er sollte lernen zu kämpfen. Gab es in Bellandra überhaupt einen Menschen,
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