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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom
Autoren: Mary Higgins Clark
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Patel.

    Fassungslos nahm Judith wahr, was der Film zeigte – die jähe Veränderung in ihrem Verhalten, ihr verzweifelter Aufschrei, ihr sich windender Körper auf der Couch.
    »Ich habe Ihnen eine zu hohe Dosis injiziert. Das hat Sie in die Epoche zurückversetzt, die Ihr Denken absorbiert hatte. Sie haben den Beweis für meine Theorie erbracht, Judith. Es ist möglich, eine Persönlichkeit aus der Vergangenheit zurückzuho-len, sie präsent zu machen, aber diese Fähigkeit darf niemals benutzt werden. Wann starb Lady Margaret Carew?«
    Das kann doch mir nicht geschehen, dachte Judith. Ausgeschlossen, nicht mir… »Sie wurde am 10. Dezember 1660 enthauptet.«
    »Ich werde Sie jetzt wieder in diesen Augenblick zurückversetzen. Sie haben die Hinrichtung beobachtet. Diesmal wenden Sie sich ab. Schauen Sie nicht zu. Sehen Sie Lady Margaret nicht ins Gesicht. Blickkontakt wäre überaus gefährlich. Lassen Sie sie sterben, Judith. Machen Sie sich frei von ihr.«
    Patel drückte auf den Knopf an seinem Schreibtisch, und Rebecca brachte aus dem Labor ein Tablett mit der Injektionssprit-ze und dem Fläschchen Litencum.
    Sloane und Barnes beobachten alles hinter dem Spionspiegel, beide vollauf damit beschäftigt, über den komplexen Vorgang mit all seinen Verästelungen nachzudenken.
    Diesmal verabreichte Patel sofort die Höchstdosis Litencum; Die Monitore zeigten, daß Judith in einen fast komatösen Zustand versank.
    Patel saß dicht neben der Couch, auf der sie lag, die Hand auf ihrem Arm. »Judith, als Sie das letzte Mal hier waren, geschah etwas sehr Schlimmes. Sie haben die Hinrichtung von Lady Margaret Carew am 10. Dezember 1660 mit angesehen. Sie gehen zurück, driften durch die Jahrhunderte zurück zu diesem Datum und zum Ort der Hinrichtung. Als Sie zuvor dort waren, hatten Sie Mitleid mit Lady Margaret. Sie wollten sie retten.

    Diesmal müssen Sie ihr den Rücken zukehren, denken Sie daran. Lassen Sie sie in den Tod gehen. Es ist der 10. Dezember 1660. Sagen Sie mir, Judith – entsteht vor Ihrem inneren Auge ein Bild?«

    Lady Margaret stieg die Stufen zum Schafott empor, wo der Henker wartete. Beinahe war es ihr gelungen, Judith zu bezwingen, selber Judith zu werden, und nun hatte man sie zu diesem schrecklichen Augenblick zurückgebracht. Jetzt zu sterben wäre Verrat an Vincent und John. Wütend schaute sie sich um. Wo war Judith? Sie konnte sie nicht finden in dieser Menge, unter all diesen derben, bäurischen Gesichtern, die rot vor Aufregung dem Spektakel entgegenfieberten – es war ihnen einen Ta-gesausflug wert, mit eigenen Augen zu sehen, wie man ihr den Kopf abschlug. »Judith!« rief sie. »Judith!«

    »Da ist eine solche Menschenmenge«, sagte Judith leise. »Al-le brüllen. Sie gieren nach der Hinrichtung. Der König ist an einem umzäunten Platz. Sehen Sie sich doch den Mann an, der neben ihm steht. Er hat Ähnlichkeit mit Stephen. Sie bringen Lady Margaret her. Sie hat eben den König angespuckt. Sie schreit Simon Hallett an.«
    Margaret Carew muß immer noch Verbindung zu ihr haben, sonst könnte Judith keinen identifizieren, dachte Patel. »Judith, bleiben Sie nicht dort. Machen Sie kehrt. Laufen Sie.«

    Margaret sah Judiths Hinterkopf. Judith versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, die jedoch vorwärts drängte und sie mit sich riß – zurück zum Schafott. Margaret war am Richtblock. Kräftige Pranken packten sie bei den Schultern und zwangen sie in die Knie. Man stülpte ihr die weiße Kappe über das Haar. »Judith!« schrie sie.

    »Sie ruft nach mir. Ich drehe mich nicht um! Ich will es nicht!«
    schrie Judith auf. Sie gestikulierte heftig. »Laßt mich vorbei.
    Laßt mich doch durch.«
    »Laufen Sie«, befahl Patel. »Nicht umdrehen.«

    »Judith!« kreischte Margaret. »Schau her. Stephen ist hier. Sie wollen Stephen hinrichten.« Judith wirbelte herum und begegne-te dem gebieterischen, unerbittlichen Blick von Lady Margaret Carew. Sie begann zu schreien, außer sich vor Angst und Schrecken.

    »Was ist, Judith?« Was ist geschehen?« fragte Patel.
    »Das Blut. Blut strömt aus ihrem Hals. Ihr Kopf. Sie haben sie getötet. Ich möchte nach Hause. Ich möchte zu Stephen.«
    »Sie kommen nach Hause, Judith. Ich werde Sie jetzt aufwek-ken. Sie werden sich ganz ruhig fühlen, warm, erfrischt. Ein paar Minuten werden Sie sich an alles erinnern, was geschehen ist, und wir werden darüber sprechen. Und dann werden Sie es vergessen. Lady Margaret wird bedeutungslos für
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