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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom
Autoren: Mary Higgins Clark
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hat?«
    Judith stand auf. Die Narbe, dachte sie, die Narbe. Lady Margaret Carew. Die zeitweise Amnesie, von der sie Patel erzählt hatte. »Sir Stephen war vor ein paar Tagen hier zu einer Dringlichkeitssitzung über den Stand der Ermittlungen. Ist mein Name gefallen?«

    »Nein.«
    »Weshalb nicht? Er hätte doch wohl über Ihre Besorgnisse unterrichtet werden müssen.«
    Sloane antwortete anstelle von Barnes. »Miß Chase, selbst bei Konferenzen auf höchster Ebene sickert etwas an die Presse durch. Um Ihretwillen, um Sir Stephens willen möchten wir unbedingt vermeiden, daß Ihr Name in dieser Angelegenheit auch nur einmal auftaucht, und sei es hinter vorgehaltener Hand.
    Doch Sie können uns helfen. Sie haben ein dunkelgrünes Ca-pe?«
    »Ja. Ich trage es nicht oft. Offen gesagt, das Modell, das ich bei Harrods gekauft habe, ist so oft kopiert worden, daß anscheinend die Hälfte aller Frauen in London diesen Winter damit herumläuft.«
    »Das wissen wir. Sie haben Ihres nie verliehen?«
    »Nein. Wünschen Sie sonst noch etwas von mir?«
    »Nein«, erwiderte Barnes. »Bitte, Miss Chase, darf ich betonen…?«
    »Bemühen Sie sich nicht.« Mit größter Willensanstrengung gelang es Judith, ihre Stimme zu beherrschen.
    Stumm hielt Jack ihr die Tür auf. Als er sie hinter ihr geschlossen hatte, schaute er seinen Chef an. »Sie wurde geister-haft bleich unter dem Make-up, als ich die Narbe erwähnte«, kommentierte Barnes. »Lassen Sie sofort ihr Telefon anzapfen.«

    Nach ihrer Rückkehr rief Judith in Patels Praxis an. Es meldete sich niemand.
    Der Auftragsdienst teilte ihr mit, Dr. Patel und Rebecca Wadley seien bei einem zweitägigen Seminar in Moskau und würden frühestens am späten Abend zurückfragen.
    »Er möchte mich bitte anrufen, egal, wann er sich bei Ihnen meldet«, bat Judith.

    Sie stellte den Fernseher an und saß regungslos davor. Eine Sequenz zeigte Stephen bei der Stimmabgabe in seinem Wahlkreis. Die Müdigkeit war ihm deutlich vom Gesicht abzulesen, doch die Augen blickten zuversichtlich. Eine Sekunde lang schaute er direkt in die Kamera, und es schien Judith, als sehe er sie an. Mein Gott, dachte sie, ich liebe ihn so.
    Sie ging zum Schreibtisch und verglich die Daten der Sprengstoffanschläge minutiös mit ihrem Terminkalender. Mit wachsender Verzweiflung stellte sie fest, daß die Explosionen zeitlich zusammenfielen mit den Phasen, in denen sie entweder am Schreibtisch eingeschlafen war oder nicht bemerkt hatte, wie viele Stunden über der Arbeit verstrichen waren.
    In der Woche vor Beginn der Anschläge hatte sie Anfälle von Gedächtnisverlust gehabt und Dr. Patel davon berichtet. Weshalb wohl hatte Patel sie nach dem genauen Todesdatum von Margaret Carew gefragt? Und wieso war die Narbe an ihrer Hand plötzlich flammendrot geworden?
    Sie kehrte an den Fernseher zurück und wartete begierig darauf, daß Stephen ins Bild kam. Sie sehnte sich danach, bei ihm zu sein und in seinen Armen zu liegen. »Ich brauche dich, Stephen«, sagte sie laut. »Ich brauche dich.«
    Um 15 Uhr rief er an, jubelte förmlich. »Man soll zwar den Tag nicht vor dem Abend loben, Darling, aber es spricht alles dafür, daß wir’s geschafft haben.«
    » Du hast es geschafft.« Irgendwie gelang es ihr doch, aufgeregt und glücklich zu klingen. »Wann weißt du’s genau?«
    »Die Wahllokale schließen erst um 21 Uhr, und die ersten Ergebnisse sind kurz vor Mitternacht zu erwarten. Der allgemeine Trend wird sich in den frühen Morgenstunden abzeichnen. Die Medien sagen einen erdrutschartigen Sieg für uns voraus, aber wir alle wissen ja, daß Niederlagen nie ausgeschlossen werden können. Ach, Judith, ich wünschte, du wärst jetzt bei mir. Das würde das Warten leichter machen.«

    »Ich verstehe dich.« Judith umklammerte den Hörer, als sie merkte, daß ihre Stimme zu schwanken begann. »Ich liebe dich, Stephen. Auf Wiedersehen, Darling.«
    Sie ging ins Schlafzimmer, zog ein warmes Nachthemd und einen Flanellmorgenrock an und legte sich zu Bett. Sie fest sie sich auch in die Decken einwickelte, der Schüttelfrost hörte nicht auf. Tiefste Verzweiflung machte ihren Körper steif und schwer. Selbst eine Tasse Tee zu kochen war viel zu anstren-gend. Stunde um Stunde lag sie da, starrte an die Decke, bemerkte nicht, daß es dunkel wurde.
    Am nächsten Morgen um 6 Uhr rief Dr. Patel sie aus Moskau an. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
    Die Frage nahm ihr den Rest von Selbstbeherrschung. »Das wissen Sie doch genau. Was
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