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Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)

Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)

Titel: Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)
Autoren: Patricia Coughlin
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zu sehen.
    Nur fürs Protokoll: Ich habe nie aufgehört, an das Schicksal zu glauben oder an Magie. Ich habe nur aufgehört, darüber nachzudenken und zu erlauben, dass diese Dinge meine Entscheidungen beeinflussen. Natürlich rede ich dabei nur von bewussten Gedanken. Erinnerungen sind etwas völlig anderes und lassen sich viel schwerer kontrollieren. Erinnerungen sind eigensinnig und hinterhältig. Sie lachen dem Willen und der Entschlossenheit ins Gesicht, gehen in Deckung, lassen sich in einer winzigen, abgelegenen Ecke des Herzens nieder und warten einfach auf einen ruhigen Moment, in dem man seine Schutzmechanismen lockert, um wieder in den Mittelpunkt zu treten.
    Ich erinnere mich mit furchtbarer Klarheit daran, was geschehen ist. Ich muss nur meine Augen schließen, und ich bin wieder in dieser eiskalten Nacht in der Sycamore Street.
    Es hatte schon den gesamten Tag gestürmt, und ich weiß noch, wie ich aus dem Küchenfenster auf die schneebedeckten Zedern schaute, die wie riesige Schneemänner im hinteren Teil des Gartens standen. Auf einmal dachte ich über die ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit von Frostbeulen nach, wenn ich den Zauber ausführen wollte. Die Tradition verlangte nämlich, dass ich nur eine weiße Robe tragen und barfuß durch den Schnee gehen musste, um eine Rose von dem Stock im Herzen des Gartens zu pflücken. Plötzlich war mir schmerzlich bewusst, wie gern ich fünf Zehen an jedem Fuß hatte.
    Ich beobachtete, wie die Schneeverwehungen immer höher wurden, und ging Grans Anweisungen noch mal durch. Aber wie sollte ich mich konzentrieren und alle Gedanken nach innen richten, wenn ich draußen nur Schnee sah, eine weiße, glitzernde, eiskalte Erinnerung daran, dass wir in Providence, Rhode Island, waren, in New England, dem Land von Robert Frost und Jack Frost und jedem anderen Frost, den die Menschheit kannte? Hier blühten Mitte Januar keine Rosen. Nicht einmal so starke und wilde Rosen, die es überlebten, in den rauhen Bergen Westirlands ausgegraben und in Grans treuen Koffer gestopft, über das weite Meer gebracht zu werden.
    Nicht im Schnee. Das war nicht normal.
    »Und wer hat diese Regel aufgestellt?«, war ihre Gegenfrage, als ich das Thema nervös ansprach.
    In der Tat, wessen Regel?
    Wie gewöhnlich strahlte Gran an diesem Abend eine völlig natürliche Selbstsicherheit aus, die tief aus ihrem Inneren kam und zu ihr gehörte wie der irische Akzent, den man immer noch in ihrem Englisch hören konnte. Für mich war ihre Stimme immer ein fliegender Teppich gewesen – ich musste nur die Augen schließen und zuhören, schon wurde ich an Orte entführt, die sich andere Leute nicht einmal vorstellen konnten, in eine Welt, die nur sie allein heraufbeschwören konnte. Im gesamten Universum war Gran die Einzige, die mich davon überzeugen konnte, dass eine einzelne, frisch aufgeblühte Rose in dieser Nacht im Garten auf mich warten würde, wenn ich wirklich daran glaubte. Und dass nichts, kein Himmel voller Schnee oder der kälteste Winter in New England oder alle Naturgesetze etwas dagegen unternehmen konnten.
    Im Laufe des Tages fing ich an, mir Sorgen um praktischere Dinge machen. Was, wenn meine Eltern die Fahrt nach Boston plötzlich in einem Anfall von gesundem Menschenverstand abbliesen? Das hätte alles ruiniert. Mein Vater war besonders ruhelos, selbst für seine Verhältnisse, rauchte Kette und tigerte durch das Haus, um alle paar Minuten aus einem anderen Fenster zu starren. Aber letztendlich war er es, der die Vorbehalte meiner Mutter beiseitewischte und darauf bestand, dass sie lieber früher losfuhren, statt ihren schönen Abend ausfallen zu lassen. Ich konnte meine Begeisterung kaum verbergen, als ich mit Gran und Chloe in der Tür stand und ihnen zum Abschied winkte. Meine größte Sorge hatte sich in Luft aufgelöst. Jetzt musste ich nur noch die Sekunden zählen, bis es neun Uhr war.
    Endlich kam die festgesetzte Stunde, und ich trat allein in den schneebedeckten Hof. Es kostete mich enorme Willenskraft, die eisige Kälte zu ignorieren – ganz abgesehen von der ängstlichen Einbildung, dass etwas in einem nahgelegenen Busch geraschelt hatte – und mich auf den Moment zu konzentrieren. Gran hatte mir Milliarden Dinge eingeschärft, zum Beispiel, dass ich mich völlig dem Moment hingeben musste, wenn der Zauber gelingen sollte. Wenn ich versuchte, den Moment davor festzuhalten oder bereits auf den nächsten wartete, würde der Zauber misslingen … ich würde
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