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Das alte Kind

Das alte Kind

Titel: Das alte Kind
Autoren: Zoe Beck
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hatte. Exzentrik. Frederik sehnte sich nach ihr. Er blieb noch bei den gefälligen Komponisten hängen, spielte sie perfekt und sauber und genau so, wie alle es hören wollten. Im Grunde war er nicht viel anders als Buchbinder. Nur, dass dieser eben schon überall dort gewesen war, wo er hinkam. Und er deshalb an den Haydn-Kadenzen herumschraubte, als hinge die Glückseligkeit des Planeten davon ab.
    Froh, die Aufnahme beendet zu haben, bat er den Tontechniker, ihm die Stelle noch einmal vorzuspielen, und erst dann nahm er die Nachricht entgegen und suchte sich ein Telefon. Wie gut, dass er da schon alles hinter sich hatte. Jetzt war ein guter Zeitpunkt, nach Deutschland zurückzufliegen. Gestern noch wäre katastrophal gewesen.
    Es war nicht so, dass Frederik Arnim seine Frau nicht liebte oder sich keine Sorgen um sie machte. Es war vielmehr so, dass er es nicht gewohnt war, sich Sorgen zu machen. Sie war immer gesund und stark und selbstständig, sie ließ ihm den Freiraum, den er für seine Arbeit brauchte, weshalb er es sich überhaupt nur erlauben konnte, seit einem knappen halben Jahr in Kanada und den USA zu sein. Und deshalb verstand er nicht recht, was ihm dieser Arzt am Telefon sagen wollte. Carla hatte einen Nervenzusammenbruch? Musste psychiatrisch betreut werden?
    Selbst als er im Flieger saß, konnte er nicht recht dran glauben. Etwas anderes steckte vielleicht dahinter. Eine Überraschung? Nein, so makaber war Carla nicht, ihn unter Vortäuschung einer Krankheit nach Hause zu locken. Andererseits – ein Nervenzusammenbruch? Carla hatte keine Nervenzusammenbrüche. Sicher ging es um eine Überraschung. Alles war in Ordnung, und sie wusste genau, dass er sich nicht ängstigen würde, weil er wiederum genau wusste, dass Carla keine Nervenzusammenbrüche hatte.
    Carla hatte im Abitur gesteckt, er im Studium, als sie sich kennenlernten. Ihre Eltern waren mit seinem Professor befreundet und hatten gefragt, ob er jemanden wüsste, um bei einem Gartenfest Klavier zu spielen. Sein Professor hatte ihn geschickt. Die Besitzer des bekannten Auktionshauses Mannheimer! Wie hätten sich seine Kommilitonen darüber gefreut! Er hingegen nahm nur an, weil er das Geld dringend brauchte. Nicht, weil er besonders scharf drauf war, im Wintergarten einer Dahlemer Villa zu sitzen und den ganzen Nachmittag Gershwin und Porter zu klimpern. Damals war sein Anspruch noch ein anderer gewesen. Damals wollte er noch berühmt werden mit einem außergewöhnlichen Stil (den er jedoch nie bei sich fand). Mit unerhörtem Repertoire (das er sich dann doch nicht aneignete). Mit selbst komponierten Meisterwerken (die er nie schrieb). Er wurde zu einem der meistgebuchten und bestbezahlten Pianisten der Welt, seinen Namen kannte jeder, dem klassische Musik nicht ganz fremd war, man schätzte sein präzises, sauberes, eingängiges Spiel.
    Ging es noch langweiliger?
    Er hoffte es. Er glaubte fest daran. Er klammerte sich an diesen Gedanken. Er konnte nicht der langweiligste Pianist der Welt sein.
    Damals, als er noch Träume gehabt hatte, lernte er Carla Mannheimer kennen, verliebte sich in sie wie in keine andere Frau zuvor, rannte ihr hinterher, sodass er sich selbst kaum mehr wiedererkannte. Natürlich waren ihre Eltern nicht nur diskret skeptisch, sondern offen gegen ihn. Talent hin oder her, er kam zwar aus gutem Hause mit gutem Namen, aber ohne Vermögen. Carla war das egal. Sie würde erben, als einziges Kind. Und natürlich beschloss Frederik, es ihnen zu zeigen. Vergaß seine Träume und tat, was er am besten konnte: Beethoven, Haydn, Chopin, Liszt. Ach, und Brahms, mit ihm hatte er auch Erfolge. Manchmal schob er es auf Carla und ihre Eltern, dass er nicht ein zweiter Glenn Gould war. Manchmal war er ehrlich mit sich selbst und gestand sich ein, dass er dazu niemals getaugt hätte, weil er eben nicht genial war. Nur begabt, aber nicht genial. Er war einfach zu spießig. Nicht exzentrisch genug. Carla war bald schwanger geworden, aber sie hatte ihm weiter den Rücken freigehalten. Sie hatte Kind und Studium gemeistert, und weil noch vor ihrem Abschluss ihre Eltern kurz nacheinander starben, führte sie das Auktionshaus weiter. Mit Kind und Magisterarbeit und einem Mann, der den ganzen Tag am Klavier verbrachte, und das oft genug weit weg von Berlin. Frederik erhöhte: Carla hatte ihm nicht nur den Rücken freigehalten, sondern gestärkt. Über Geld und Zeit hatte er nie nachdenken müssen. Er hatte, dank ihr, alle Möglichkeiten. Und
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