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Das alte Haus am Meer

Das alte Haus am Meer

Titel: Das alte Haus am Meer
Autoren: wentworth
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beschnittenen Versionen, doch mit zunehmendem Abstand zum Schloss wichen sie ungehindertem Wachstum. Dales Großvater hatte Bäume geliebt, und die von ihm gepflanzten Buchen, Eichen und Ahornbäume waren gewachsen und gediehen. Auch hoch gewachsene Nadelbäume mit gelben, tiefgrünen und blauen Nadeln gab es dort – Zypressen, Zedern, HimalayaZedern.
    Lisle schlenderte zwischen ihnen hindurch und wartete, dass Dale nach Hause käme. Gestern, das war vorbei und fast vergessen. Sie hatte wieder Farbe und genug Beherztheit, um geringschätzig über ihre panische Flucht vom Vortag zu denken. Nachdem der Schock von ihr gewichen war, dachte sie eher erstaunt und leicht beschämt an ihr Verhalten zurück. Dale hatte sie für ein Wochenende zu den Cranes geschickt, und sie war gleich nach der ersten Nacht davongelaufen. Das würde ihn verärgern, und er würde eine Erklärung verlangen.
    Während sie durch die Bäume spazierte, überlegte sie, was sie ihm sagen sollte. Es wäre ein Leichtes, zu lügen. Sie könnte sagen, sie sei plötzlich krank geworden und hätte nicht in einem fremden Haus im Bett liegen wollen. Rafe und Alicia, die über ihr gestriges Aussehen so erschrocken gewesen waren, würden es bezeugen. Aber man hatte ihr beigebracht, sich nicht mit Lügen aus Schwierigkeiten herauszuwinden. Lügen waren etwas Schreckliches, und Dale anzulügen war undenkbar. Und die Wahrheit? Leider war die Wahrheit ebenfalls undenkbar. Wie sollte sie Dale erklären: »Ich stand hinter einer Hecke, und zwei Frauen – ich weiß nicht wer – unterhielten sich. Sie haben gesagt, dass Lydia den Unfall nur hatte, weil du ihr Geld wolltest, und vielleicht würde ich ja auch einen Unfall haben.«
    Plötzlich schauderte es sie bei der Erinnerung daran, wie kalt das Wasser gewesen war, das ihr über Kinn, Mund und Augen geschwappt war. Zehn Tage war es her, nur zehn Tage. Sie verdrängte den Gedanken und trat unter den Bäumen hervor in die wärmende Sonne. Sie konnte Dale nicht anlügen, und sie konnte ihm auch nicht die Wahrheit sagen.
    Als sie sich umdrehte, sah sie ihn auf sich zukommen, und mit einem Schlag war alles vergessen. Freude durchzuckte sie jedes Mal, wenn sie ihn sah. Vom ersten Augenblick an hatte sie in seiner Gegenwart Wärme und Wohlbefinden verspürt. Es hatte etwas zu tun mit seiner Art zu schauen, wie er den Kopf hielt, mit seiner selbstsicheren Stimme, dem Lächeln in seinen Augen, das einzig ihr galt. Dunkle Augen, aber nicht so dunkel wie Rafes, gebräunte Haut, aber nicht so dunkel wie Rafes oder Alicias, und während die beiden schlank und grazil gebaut waren, war Dale groß und athletisch. Wenn er sie in die Arme nahm, spürte sie, wie seine unbändige Kraft sie schier zermalmen konnte. Bis jetzt hatte dieses Gefühl sie immer erfreut und erregt. Heute verspürte sie noch etwas anderes. Selbst als er sie küsste und sie Kuss für Kuss erwiderte, spürte sie ein kleines, kaltes Zittern der Angst, das nicht aufhören wollte. Sie war froh, als er sie freigab; froh und ziemlich atemlos.
    »Dale … ich bin nicht geblieben …«
»Das sehe ich.«
Er war noch nicht wütend. Vielleicht würde er gar nicht
    wütend werden. Wenn ihr nur die richtigen Worte einfallen würden. Aber sie konnte nur stammeln: »Ich wollte nach Hause.«
Seine Hand lag auf ihrer Schulter. Sie spürte den Druck.
»Warum?«
»Dale …«
Sie war halb abgewandt und er drehte sie zu sich. Seine Stimme war ziemlich hart, als er sagte:
»Was soll das alles? Ich habe gestern Abend angerufen, und Marian Crane sagte mir, du seist nach dem Frühstück überstürzt abgereist. Als ich sie fragte, warum, meinte sie, du hättest ein Telegramm bekommen. Das hast du ihr wohl so erzählt?«
»Ja.«
»Und hast du ein Telegramm bekommen?«
»Nein, Dale …«
Sie würde ihn nicht anlügen.
»Warum bist du dann abgehauen?«
Bisher hatte sie ihn nicht angesehen. Jetzt blickte sie zu ihm auf. Ihr Blick war fest und bekümmert.
»Ich möchte es nicht sagen.«
»Was für ein Unsinn! Du musst!«
»Dale …«
Er lachte verärgert.
»Was ist denn in dich gefahren? Die Cranes sind meine Freunde. Du fährst für ein Wochenende zu ihnen und läufst am nächsten Tag davon. Das geht nicht so einfach ohne Erklärung. Hast du dich mit Marian gestritten?«
Sie errötete – vor Erleichterung, nicht vor Scham.
»Natürlich nicht. Ich streite mich nicht.« Sie trat einen Schritt zurück, und er ließ sie los. »Es hatte nichts mit Mrs Crane zu tun. Ich … ich will dir
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