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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon
Autoren: Jonathan Barnes
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Grüppchen Neugieriger aus der
Umgebung und einem einzelnen Polizeibeamten. Wie die örtliche Überlieferung
wissen will, waren seine letzten Worte auch jene seiner letzten Rolle:
    »Oh, ich bin hin! Hast du Erbarmen,
öffne
Die Gruft und lege mich zu Julia!«
    Ein Schmierenkomödiant, bis zum letzten Vorhang.

DREI
    Gut aussehende Männer sind mir ein
Greuel.
    Dies ist in erster Linie Eifersucht, ich
weiß – diese instinktive Abneigung, dieser alte, töricht neidische Groll.
Jedes Mal, wenn ich mein schwammiges Fleisch und die pockennarbigen
Gesichtszüge mit dem glatten, biegsamen, prallen Äußeren wohlgestalteter Jugend
vergleiche, wird mir bewusst, wie schmerzlich ich bei dieser Gegenüberstellung
ins Hintertreffen gerate. Selbst heute noch bin ich unfähig, einen hübschen
Jungen zu betrachten, ohne den Wunsch zu verspüren, seine feinproportionierte
Visage zu einer blutigen Masse zu prügeln.
    Und so können Sie wahrscheinlich kaum ermessen,
welche Freude ich verspürte, als sich zeigte, dass Mister Edward Moon im
Begriff war, sein gutes Aussehen zu verlieren.
    All dieses seidige Haar, diese vollkommen
geformten Backenknochen, dieses unnatürlich schön geschnittene Kinn …
Einst war Moon die personifizierte Eleganz gewesen, der fleischgewordene Stil
und gute Geschmack. Doch nun, über vierzig und, wie ihm selbst dünkte, mit
ungebührlicher Hast seinem sechsten Lebensjahrzehnt entgegen eilend, schien
seine Ausstrahlung endlich, endlich zu verblassen. Sein Haar hatte angefangen
sich zu lichten, und dem aufmerksamen Beobachter konnten auch die ersten grauen
Stellen darin nicht entgehen. Seine Züge, die ohnehin schon eine Spur schlaff
und faltig wirkten, neigten nun mehr und mehr dazu, in die Breite zu gehen, und
hatten als Kunde all seiner Sünden und Laster, die in Form von Furchen und
Runzeln über sein Antlitz geschrieben stand, ihre ansprechenden Konturen
verloren.
    In der Nacht, als Cyril Honeyman in seinen
degoutanten Tod stürzte, dinierte Edward Moon anlässlich einer geselligen Feier
in einem äußerst vornehmen Teil Kensingtons mit Bekannten (nicht »Freunden«,
wie Sie gleich bemerken werden, keinesfalls »Freunden«!) und inmitten einiger
Spitzen der geschwätzigsten Kreise der Stadt. Es hatte Zeiten gegeben, da er
als Ehrengast unter ihnen gesessen hätte – sozusagen als Hauptattraktion
des Abends –, wogegen sich heutzutage seine Gastgeber damit zu begnügen
schienen, seine Anwesenheit als gegeben hinzunehmen. Offenbar luden sie ihn (so
argwöhnte er) lediglich aus alter Gewohnheit ein. Noch ein paar Jahre, und er
würde überhaupt von diesen gesellschaftlichen Ereignissen ausgeschlossen sein,
sein Name von den Gästelisten gestrichen, er selbst eine Unperson, jemand, der
seine Glanzzeit längst hinter sich gelassen hatte.
    Moon fühlte sich alsbald gelangweilt von der
Tischgesellschaft, und am Ende des Mahls, als sich die Damen zurückzogen, um zu
kichern und zu klatschen, und sich die Herren dem Portwein zuwandten und ihre
Zigarren anzündeten, verließ er mit einer Entschuldigung den Tisch und
schlenderte hinaus in den Garten. Zurück ließ er seinen Begleiter, der drinnen
wohl allein zurechtkommen sollte.
    Moon hatte einst den Ruf genossen, sich erlesen zu
kleiden, und seine Garderobe war der jeweiligen Mode stets den einen,
entscheidenden Zoll voraus. Doch nun, als sein Schick langsam verebbte, wirkte
er zunehmend verloren. In diesem neuen Stil mutete er mehr und mehr wie ein
Überbleibsel des vorigen Jahrhunderts an – ein Relikt aus einer früheren,
verstaubteren Ära. Sein Jackett – gefertigt in der noblen Savile
Row – hatte schon bessere Tage gesehen, und die Schuhe, sorgfältig
handgenäht und bezahlt mit dem Einkommen mehrerer Monate, waren ausgetreten und
ein wenig abgewetzt. Immer noch trug er eine schwarze Armbinde im Gedenken an
Königin Victoria, obwohl sie diese Welt bereits vor etlichen Monaten verlassen
hatte. Er war ein Geschöpf des alten Jahrhunderts, ganz genau so wie sie.
    Das Jahr stand gerade an jenem Wendepunkt, wenn
der Winter anfängt, seine Faust um die Tage zu ballen, und die Bäume, ihres
Laubes und ihrer Farben beraubt, kahl und nackt wie leere Hutständer Wache zu
stehen scheinen. Die Luft draußen war klamm und eiskalt. Nebel kroch aus den
unteren Regionen der Stadt empor, und im Schein des Lichts, das aus den
Fenstern fiel, schimmerte der Garten unter einem seltsamen Glanz. Moon wandte
sich vom Haus ab; das hohe, feuchte Gras durchnässte
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