Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER
Autoren: Jennifer McMahon
Vom Netzwerk:
der Grund, warum er tat, was er tat. Es war der Ausdruck in ihren Gesichtern, in diesen letzten Momenten, die Macht, die er in genau diesem Augenblick gefühlt haben musste, wenn sie ihr Leben in seinen Händen aushauchten. Endlich, für einige kurze Minuten, rächte er sich an Vera für all die Male, die sie ihn zurückgewiesen, ihm ins Gesicht gelacht hatte.
    Als das Grau in Schwarz überging, als die Szene unter ihr abstrakter, weniger persönlich wurde und die Erleichterung darüber, einfach aufgeben zu können, anfing die Oberhand zu gewinnen, schnellte Reggie plötzlich in ihren eigenen Körper zurück, und es war Taras Gesicht, das sie vor sich aufsteigen sah. Nicht die Tara aus ihrer Kindheit, sondern die erwachsene Version, zerschlagen und zerschrammt, das Kinn mit Blut bedeckt. Sie stand hinter Neptun, und sie hatte etwas in ihrer linken Hand, etwas Schmales mit einer metallischen Spitze. Sie hob es über ihren Kopf und rammte es dann in Neptuns Rücken, wobei sie ein ersticktes Grunzen der Anstrengung ausstieß. Der Schraubenzieher.
    Reggie konnte Georges Stimme in ihrem Kopf hören – nicht die des Neptun-George, sondern des George, der ihr beigebracht hatte, einen Plan zu lesen und ihr Fahrrad zu reparieren: Es gibt für jede Aufgabe das richtige Werkzeug.
    Er löste seinen Griff um Reggie, und Luft strömte in ihren schmerzenden Hals. Er drehte sich, versuchte, sich zu erheben, taumelte aber wieder nach unten, geschwächt durch all das Blut, das er verloren hatte. Reggie saugte stoßweise Sauerstoff ein, ihr Verstand und ihre Kraft kehrten mit jedem Atemzug mehr zurück. Neptun war jetzt auf den Knien, eine Hand auf seinem tropfenden Hals, die andere langte vergeblich zu seinem Rücken, während er nach dem Schraubenzieher tastete, der zwischen seinen Schulterblättern steckte, wie der Schlüssel eines kaputten Aufziehspielzeugs. Tara trat zurück, außerhalb seiner Reichweite, beobachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen und gebleckten Zähnen, als würde sie sich, wenn nötig, mit nichts als ihren Reißzähnen auf seinen Hals stürzen wollen. Reggie bemühte sich, in eine sitzende Position zu kommen, sah ihm in die Augen. Es war nicht Grauen, was sie dort sah, sondern fassungsloser Unglaube. Dann fiel sein Körper nach vorn in sich zusammen.
    Es war vorbei.

Danach 1. November 2010 – Brighton Falls, Connecticut
    MUSST DU NICHT ZURÜCK an deine Arbeit gehen?«, fragte Tara. Sie waren in Veras Zimmer in Moniques Wunsch, das gesprenkelte Licht der Nachmittagssonne traf auf die Bodendielen, ließ sie aufleuchten.
    Len saß neben Reggie, hielt ihre Hand. Er schien zu zögern, sie auch nur eine Minute allein zu lassen, seit er sie letzte Woche im Krankenhaus gefunden hatte. Früher hätte Reggie das verrückt gemacht, aber jetzt fand sie es beruhigend. Sie drückte seine Hand.
    Vera war gerade eingeschlafen, nach einem konfusen Kartenspiel, das halb Mau-Mau und halb Rommé gewesen war, mit einem Hauch von Stud Poker als Zugabe. Tara sagte immer wieder, es wäre, als würde man in einem schlechten Witz leben – dieses Paar setzt sich zu einem Kartenspiel mit zwei einarmigen Frauen hin … Vera und Tara mussten ihre Karten auslegen und darauf vertrauen, dass niemand nachsehen würde.
    »Ich kann sehr gut von hier aus arbeiten«, sagte Reggie und sammelte die Karten ein. »Und während ich hier bin, kann ich mit einigen Reparaturen beginnen.«
    Len hatte sich auch gleich in Moniques Wunsch eingenistet. Er hatte Lorraine völlig verzaubert und sich an die Arbeit gemacht mit Putzen, Kochen und der Erledigung der Besorgungen für den Haushalt. Er schien Ehrfurcht vor dem Haus zu haben, sagte, es wäre, als würde man in einer gigantischen Skulptur wohnen.
    »Oh«, sagte Len. »Das hätte ich beinahe vergessen. Der Typ im Baumarkt hat mir ein paar Namen von Dachdeckern gegeben, die mit Schiefer arbeiten. Aber ich denke immer noch, dass es Spaß machen würde, wenn wir es selbst machen würden.« Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln.
    »Ich denke, ich hatte genug Abenteuer für eine Weile«, sagte Reggie und zuckte ein wenig bei der Vorstellung zusammen, wie sie auf dem steil geneigten Dach herumkrochen. »Lass uns die schweren Sachen den Experten überlassen.«
    Ihre Hand wanderte zu ihrem Hals, wie sie es seit dem Tag ihres Entkommens aus dem Lagerhaus getan hatte, fühlte die Quetschungen und Schnitte, die schmerzten und juckten, während sie heilten.
    In ihren Träumen und Albträumen war sie wieder auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher