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Das 5. Gebot (German Edition)

Das 5. Gebot (German Edition)

Titel: Das 5. Gebot (German Edition)
Autoren: Nika Lubitsch
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rechtmäßiges Erbe betrogen worden zu sein. Er war sich sicher, dass sein Großvater ihm die Hälfte des Familienvermögens vermacht hätte. Stattdessen musste er sein ganzes Leben lang den Bückling machen vor Onkel Gerhard. Man musste dem Alten zugutehalten, dass er das Familienvermögen um ein Vielfaches vermehrt hatte. Aber schließlich hatte auch er, Michael, kräftig dazu beigetragen, dass die Unternehmensgruppe wuchs und gedieh. Insbesondere, als nach dem Fall der Mauer die Familienbank wieder an sie zurückgefallen war. Zu diesem Zeitpunkt war er in die Firma eingetreten.
    Michael hatte gerade sein Sportstudium beendet, als das mit Gerhards Tochter passierte. Onkel Gerhard hatte darauf gedrungen, dass er noch mal Betriebswirtschaft studierte. „Du bist jetzt mein einziger Erbe“, hatte er gesagt. „Eines Tages wirst du alles übernehmen. Also bereite dich darauf vor.“
    Seitdem wusste er, dass er das Erbe seiner Mutter wieder zurückholen würde.
    „Ich versprech’s dir, Mama“, hatte er ihr noch auf ihrem Sterbebett gesagt.
    Wo blieb sein Onkel nur? Eigentlich müsste der Alte längst bei ihm sein. Er öffnete die Tür zum Vorzimmer.
    „Haben Sie meinen Onkel gesehen?“
    Frau Zimmer hob nicht mal den Kopf. „Bei Neumann.“
    Michael wurde heiß. Er schloss die Tür und atmete tief durch. Was zum Teufel machte der Alte bei Neumann, dem Sicherheitschef? Obwohl Michael alle neu zu besetzenden Posten mit seinen eigenen Leuten ausgestattet hatte, gab es immer noch ein paar Abteilungsleiter, die schon unter dem Alten gedient hatten. Wegen Neumann hatte er sich schon ein paar Mal mit seinem Onkel in den Haaren gelegen. Michael hatte argumentiert, dass der inzwischen Vierundsechzigjährige zu alt sei für einen Job, in dem es darauf ankam, auf der Höhe der Zeit zu sein. Auf die modernen Bedrohungen für das Unternehmen konnte nicht mehr nur mit Personenschutz und gepanzerten Limousinen geantwortet werden. Die aktuellen Bedrohungen waren diebisches Personal, ausgeklügelte Internetkriminalität, vielleicht auch Erpresser.
    „Dem Neumann verdanke ich mein Leben“, hatte der Alte gesagt und damit einen Punkt gesetzt. Wenn er diesen bestimmten Unterton an den Tag legte, wussten alle, dass jede Art von Argumentation zwecklos war. Also hatte Michael einen externen Dienstleister für die modernen Anforderungen an die Abteilung Sicherheit angeheuert. Sollte Neumann doch sein Gnadenbrot bekommen. Das hatte auch Vorteile.
    Das Sicherheitsunternehmen, das für ihn tätig war, konnte er kontrollieren, schließlich war seine Unternehmensgruppe der größte Kunde. Was bedeutete, dass die angeschlossene Detektei Winter nur die Unterlagen zu sehen bekam, die er auswählte. Was auch bedeutete, dass Neumann und sein Team nicht über das Wissen verfügten, das ihm gefährlich werden konnte. Oder doch?
    Michael lockerte seine Krawatte. Verdammt, was wollte der Alte bei Neumann? Die Bücher waren alle wasserdicht, da war er sich sicher. Bankenaufsichtskompatibel. Wenn doch bloß nicht diese ganze Scheiße mit Lehman passiert wäre. Er hatte sich auf der sicheren Seite gefühlt und sich kurzfristig private Darlehen genehmigt. Wenn Gerhard der Große das entdecken würde, hätte er genau zehn Minuten, um seinen Schreibtisch zu räumen. Und seine Erbschaft könnte er auch gleich ans Tierasyl in Potsdam oder an die Treberhilfe abtreten. Gerhard Gnadenlos hatte da bestimmt noch ein paar schicke Ideen.

9. Zehlendorf
     
    „Kaffee?“, fragte Vicky auf Deutsch.
    „Wie heißt das?“, fragte Lisa.
    „Möchtest du einen Kaffee trinken? Richtig?“
    „Sehr gut. Ja, ich möchte einen Milchkaffee, bitte.“
    Vicky lächelte, sie mochte Lisa, die für sie viel mehr war als nur ihre Deutschlehrerin. Vor allem liebte sie Lisas trockenen Humor, der ihr sehr undeutsch erschien. Die zwei mal drei Stunden in der Woche waren für Vicky Höhepunkte, auf die sie sich immer mehr freute.
    Lisa war eine Anhängerin des praktischen Unterrichts. Sie gingen zusammen einkaufen, fuhren S- und U-Bahn, besuchten Cafés, Restaurants oder Museen. „Schließlich musst du keine Doktorarbeit auf Deutsch verfassen, sondern in der Lage sein, zu fragen, was der Blumenkohl kostet und wo die nächste Apotheke ist.“ Vicky hatte mit Lisa die Umgebung kennengelernt, und es war Lisa, die ihr die Laufwege an den beiden Nachbarseen Schlachtensee und Krumme Lanke gezeigt hatte. Natürlich spürte Vicky, dass Lisa sie auch behutsam in die Tiefen der deutschen
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