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Das 5. Gebot (German Edition)

Das 5. Gebot (German Edition)

Titel: Das 5. Gebot (German Edition)
Autoren: Nika Lubitsch
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konnte. Die „Krauts“, wie Onkel Willy die Deutschen nannte, waren nur eine Übergangsstation auf Georges Weg ganz nach oben im Familienunternehmen. „Vier Jahre, Maximum“, hatte George ihr versprochen.
    Bis dahin hatte Vicky geglaubt, eine glückliche Ehe zu führen. Aber George hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass nichts Geringeres als ihre Ehe zur Disposition stand. Er wollte eine „richtige Familie“, wie er es nannte. Widerstrebend hatte Vicky sich entschieden. Für George, für Berlin, für ein Kind. Für das Kind übten sie noch. Aber Vicky bereitete sich darauf mit der gleichen Sorgfalt vor wie auf alles in ihrem Leben.
    Nach Londoner Maßstäben hatten sie für einen lächerlich niedrigen Preis eine sonnendurchflutete Wohnung in Zehlendorf gefunden. Die moderne Stadtvilla hatte einen Garten, in dem ihr Kind eines Tages würde spielen können – der einzige Grund, warum Vicky kein Loft mitten in der City gesucht hatte, obwohl sie zeit ihres Lebens eine Abneigung gegen Vorstädte gehabt hatte. Natürlich war Zehlendorf nicht die übliche Vorstadt mit unendlichen Reihenhaussiedlungen, wie Victoria sie aus England kannte, sondern ein Viertel mit majestätischen Rotbuchen, knorrigen Blutkiefern und trutzigen Gründerzeitvillen. Was Victoria am meisten gefiel, waren die vielen Seen, die sich wie eine Perlenschnur durch den Berliner Grunewald schlängelten. Hier siedelte sich nicht die junge, kreative Szene an, nach Zehlendorf zog es die Diplomaten, Politiker und Führungskräfte, die aus der ganzen Welt nach Berlin kamen. Wenn sie morgens im Grunewald joggte oder im Bogenhaus einkaufen ging, hörte sie Englisch, Spanisch, Französisch, Japanisch und Russisch. Außerdem gab es in der Nähe eine internationale, englischsprachige Krabbelgruppe, wie die Maklerin ihr bei der Besichtigung der Wohnung in einer modernen Stadtvilla erklärte. Das hatte den Ausschlag gegeben.
    Vicky zog ihren Hausanzug an, der um die Hüften etwas spannte. Sieben Kilo hatte sie zugenommen, seitdem sie das Rauchen aufgegeben hatte, da half alles Joggen nichts. Jedes Mal, wenn Vicky in den Spiegel im Schlafzimmer schaute, hätte sie am liebsten laut geschrien. Die Frau, die ihr entgegenblickte, hatte wenig mit ihrer Vorstellung von Victoria McIntosh zu tun. Zudem behauptete George, dass sie zu viel naschte, dabei stimmte das gar nicht, fand sie.
    Vicky ließ sich aufs Bett sinken und starrte auf die alten Kastanien vor ihrem gekippten Schlafzimmerfenster. Aus dem Garten drang Kinderlachen. Victoria schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, dass ihr eigenes Kind unten im Sandkasten spielen würde. Sofort war das Bild der toten Frau wieder da. Abrupt setzte sich Vicky auf. Sie griff nach dem Telefon auf ihrem Nachttisch. Wenigstens die Stimme ihrer Mutter musste sie hören. Aber ihre Mutter war nicht zu Hause. Vicky fiel ein, dass Dienstag war. Dienstags half ihre Mutter im Pflegeheim der Gemeinde aus.
    Hoffentlich kam George bald. Vicky stand auf und setzte sich an ihren Schminktisch, auf dem der Computer stand, mit dem sie auch ihre fruchtbaren Zeiten errechnete. „Liebling“, hörte sie Georges Stimme aus dem Hausflur. Gott sei Dank.

4. Nora Lizzy
     
    Wann eigentlich, fragte er sich, fingen die Dinge an, aus dem Ruder zu laufen? Früher hatte er sich das oft gefragt, aber niemals eine befriedigende Antwort gefunden. Im Laufe der Jahre hatte es ihn immer weniger interessiert, so wie es gleichgültig ist, woher eine alte Narbe stammt. Die Zeit hatte seine Erinnerungen weich gepolstert, schichtweise Noppenfolie über den Schmerz gelegt, so dass er irgendwann erträglich geworden war. Es war alles so lange her. So viele Schichten Noppenfolie. So viele Tote.
    Manchmal tauchten die Gesichter der Frauen an die Oberfläche, er sah sie zwischen den kleinen Wellen auf dem Schlachtensee, in denen sich die Sonne spiegelte. Es war, als habe eine unsichtbare Hand die Gesichter aus Silberpapier ausgewickelt, wie ein funkelndes Geschenk.
    Nora Lizzy war die Erste gewesen. Er dachte an ihre klugen, braunen Augen, die immer ein wenig hilflos wirkten, wenn sie ihre dicke Brille abnahm. Ein Trugbild, denn sie war alles andere als hilflos. Ihre frechen Sprüche, ihr scharfer Verstand konnten verletzen. Nora Lizzy mit den Kräusellocken und den schönen Beinen. Seitdem war er auf Beine fixiert. Lang mussten sie sein, schlank und wohlgeformt. Dazu trug sie hohe Absätze, oh ja, sie wusste genau, womit man Männern den Verstand rauben
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