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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4
Autoren: Clive Barker
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worauf Charlie geantwortet hatte, daß ihm Hände immer viel bedeutsamer vorgekommen seien als irgend etwas aus dem Intimbereich. Immerhin könnten sie die Welt verändern, oder?
    Nach der Jeudwine-Episode hörte Charlie nicht auf, Bleistifte zu zerbrechen oder mit den Fingern zu trommeln.
    Genaugenommen war das Tempo womöglich noch lebhafter und dringlicher als je. Aber er kam zu dem Schluß, daß Hunde mittleren Alters ihre schlechten Angewohnheiten nicht so rasch vergessen und daß es etwas dauern würde, bis er sein Gleichgewicht wiedererlangte.
    So blieb der Umsturz im verborgenen. Man war jedoch nur mit knapper Not entkommen. Für Ausflüchte war eindeutig keine Zeit mehr. Die Rebellen mußten handeln.
    Ellen war es, die unwissentlich den endgültigen Aufstand anzettelte. Es war nach einem Liebesgefecht an einem späten Donnerstagabend. Eine heiße Nacht, obwohl es Oktober war; das Fenster stand halb offen, und die Vorhänge klafften eine Handbreit, um einen lächerlichen Luftzug hereinzulassen.
    Gatte und Gattin lagen unter einem gemeinsamen Bettuch.
    Charlie war eingeschlafen, bevor noch der Schweiß auf seinem Nacken getrocknet war. Ellen neben ihm, den Kopf auf ein steinhartes Kissen gestützt, war noch wach, hatte die Augen weit geöffnet. Schlaf würde sie heute nacht lange nicht finden, das wusste sie. Es würde wieder eine von diesen Nächten werden, in denen ihr Körper juckte und jede Unebenheit im Bett sich unter ihr kribbelnd voranwand und jeder je von ihr gehegte Zweifel sie aus dem Dunkel anglotzte. Sie wollte ihre Blase entleeren (wie sie es nach dem Sex immer machte), aber sie brachte einfach nicht die rechte Willenskraft auf, um aufzustehen und ins Bad zu gehen. Je länger sie es bleibenließe, desto dringlicher müßte sie natürlich gehen, und desto weniger wäre sie imstande, in Schlaf zu sinken. Saublöde Lage, dachte sie, verlor dann, inmitten ihrer ängstlichen Beklemmungen, aus den Augen, von welcher Lage es denn herrührte, was so blöd war.
    Charlie neben ihr bewegte sich im Schlaf. Bloß seine Hände; sie zuckten drauflos. Sie betrachtete sein Gesicht. Er war wirklich engelhaft im Schlaf, sah jünger aus als seine einundvierzig Jahre, trotz der weißen Tupfen in seinen Koteletten. Sie hatte ihn gern genug, um zu sagen, sie liebe ihn, so nahm sie an, aber nicht genug, um ihm seine Sünden zu verzeihen. Er war faul, und er jammerte ständig. Wehwehchen, Schmerzen. Und dann diese Abende, an denen er erst spät nach Hause kam (unlängst hatten sie aufgehört), an denen er sich, da war sie sicher, mit einer anderen Frau traf. Während sie ihn anschaute, kamen seine Hände zum Vorschein. Wie zwei streitende Kinder tauchten sie unter der Bettdecke hervor, mit Nachdruck durchstießen Finger die Luft.
    Sie runzelte die Stirn, glaubte nicht ganz, was sie erblickte.
    Es war, wie wenn man bei abgedrehtem Ton fernsieht, eine Pantomime für acht Finger und zwei Daumen. Während sie staunend weiter zusah, krabbelten die Hände seitlich an Charlies Rumpf herauf und pellten ihm das Leintuch vom Bauch, legten die Behaarung bloß, die sich zum Geschlecht hin verdichtete. Auf seiner Blinddarmnarbe, die glänzender war als die umgebende Haut, fing sich das Licht. Hier, auf seinem Bauch, schienen seine Hände Platz zu nehmen.
    Die Auseinandersetzung zwischen ihnen war heute nacht besonders heftig. Die Linke, stets die Konservativere der beiden, argumentierte für einen Aufschub des Abtrennungstermins, aber für die Rechte kam Warten nicht mehr in Frage. Es sei an der Zeit, argumentierte sie, ihre Stärke gegen den Tyrannen zu erproben und den Körper ein für allemal umzustürzen. Nach dem Stand der Dinge liege die Entscheidung keinen Augenblick länger bei ihnen.
    Ellen hob den Kopf vom Kissen; und zum ersten Mal spürten sie ihren Blick. Sie waren zu sehr in ihren Streit vertieft gewesen, um sie zu bemerken. Jetzt, endlich, wurde ihre Verschwörung aufgedeckt.
    »Charlie…« zischte die Frau dem Tyrannen ins Ohr, »hör auf damit, Charlie. Hör auf damit.«
    Die Rechte hob den Zeige- und Mittelfinger und witterte ihre Gegenwart.
    »Charlie…« sagte Ellen abermals. Warum mußte er auch immer so tief schlafen?
    »Charlie…« Sie schüttelte ihn heftiger, während die Rechte die Linke antippte, um sie auf das Gestarr der Frau aufmerksam zu machen. » Bitte , Charlie, wach auf. «
    Ohne Vorwarnung hüpfte die Rechte los; die Linke folgte nur eine Idee später. Noch einmal gellte Ellen Charlies Namen,
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