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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht
Autoren: Nika Lubitsch
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dem Zellophan an. Im Bad? Ich ging noch mal in seine Nasszelle. Die Dusche war ebenerdig und durch eine Doppel-Acryl-Tür zu erreichen. Es war eine Doppeldusche, die auf jeder Seite einen Duschkopf hatte. Was hätten wir für einen Spaß haben können, dachte ich bedauernd. Ich zog den Vorhang vor der Wanne weg.
    Das Verständnis der Amerikaner von schönen Badezimmern deckte sich nicht ganz mit meiner eigenen Vorstellung. Dazu gehörten die beigefarbenen Plastikeinbauten von Badewannen, die gleich mit Seitenwänden geliefert wurden, ebenfalls in anheimelndem Beige. Ich schaute mir diese Abdeckung genauer an.
    Später habe ich oft darüber nachgedacht, warum ich an den einzelnen Knöpfen rumgespielt habe. Intuition? Ein schlechtes Gefühl? Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte?
    Ich schrie, als sich die Badewannenseitenwand plötzlich öffnete. Wie eine Tür. Ich stieg in die Badewanne und öffnete die Tür ganz. Hier also war es, das verschwundene Zimmer.
    Mir lief der Schweiß aus allen Poren. Mein Herz raste. Wieder habe ich den lieben Gott bemüht, habe gebetet. Zitternd betrat ich den stockdusteren Raum. Mit der rechten Hand tastete ich die Wand ab, ob ich irgendwo einen Lichtschalter fand. Ich fand keinen, trotzdem war es plötzlich taghell in diesem Raum. Es musste wohl so etwas wie einen automatischen Lichtschalter geben. Ich stieg über den Wannenrand in den Raum hinein.
    Und in diesem Moment wusste ich es. Eigentlich hätte ich gar nicht weiter in diesen Raum laufen müssen, in dem Moment, in dem die Tür aufgegangen war, habe ich es gewusst. Oder hatte ich es schon vorher gewusst und deshalb gesucht?
    Das verschwundene Zimmer. Es sah eher aus wie eine exklusive Damenboutique. Hier gab es keine Fenster, ich nehme an, dass dort eine Rigipswand eingezogen wurde, die man nachträglich verspiegelt hatte. Von Wand zu Wand, die mit Klinkersteinen verkleidet war, erstreckten sich die Kleiderstangen mit Kleidern, Blusen, Jacken. Wundervolle Pullover lagerten auf Regalen, oben auf einer Ablage waren die tollsten Damenhüte zu sehen, wie man sie höchstens in London bei einer Putzmacherin bestellen konnte, wenn man zum Pferderennen nach Escot wollte. Und darunter standen Schuhe. Ficktöppen nannte Sandra diese Art von High Heels, mit denen man sich bereits beim Anschauen die Haxen brach. Und alle in Größe 15.
    In einem hohen Schubladenschrank fand ich Dessous, die mir die Röte in die Wangen trieben, obwohl ich hier unbeobachtet war. String-Tangas in knallrot und Spitzenhöschen in schwarz. Ich versuchte mir vorzustellen, wie diese an einem Mann aussehen würden.
    Da das verschwundene Zimmer direkt zwischen den beiden Badezimmern lag, gab es natürlich Wasseranschlüsse und -abflüsse. Der gesamte Raum war auf der Erde gefliest. Genial, das Zeug so zu verstecken. Es gab auch noch einen Schminktisch, um den herum diverse Perlenketten hingen, und ein Regal mit Kunstköpfen, die lieblich blickten und Perücken in allen möglichen Haarfarben und Längen trugen.
    Hinter einem Paravent war eine Innendusche mit einem langen Schlauch und einem Abfluss direkt darunter verborgen, damit der Liebste nicht geschminkt ins Badezimmer zurückmusste.
    In einer vorspringenden Ecke stand eine Liege und über einer Kiste lagen mehrere Federboas. Ich räumte eine blauschwarze Straußenfederboa beiseite und schaute mir das Ding genauer an. Es hatte meine Neugierde erweckt. Die Kiste war mit einem Zahlenschloss verschlossen. Ich fasste auf die Kiste und stellte fest, dass sie ganz leicht vibrierte. Also fegte ich den Tand darauf runter und zog sie ein Stück von der Wand weg. Sie war schwer und wurde offensichtlich mit Strom versorgt. Ein Safe? Na klar, ein Safe, ein sehr großer sogar. Sollte ich ihn aufbrechen? Aber wie? George würde mich umbringen, wenn er erfahren würde, dass ich während seines Krankenhausaufenthaltes in seiner Hütte geschnüffelt hatte. Ich musste die verfluchte Zahlenkombination finden.
    Denk nach, Julia, denk nach! Ich setzte mich vor die Kiste und starrte die Zahlenkombination an, als ob sie zu mir sprechen könnte. Seinen Geburtstag würde er nicht nehmen. Meinen auch nicht, da die Kiste hier schon länger stand, als George und ich uns kannten. Den Geburtstag von J.R.? Wusste ich den? Nein, Moment, halt, ich wusste, dass J.R. Schütze war. Das nutzte mir gar nichts. Ich scannte in Gedanken alle Bücher, die ich von George gelesen hatte. Hatte er irgendwo einen Hinweis darauf gegeben, wie sein
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