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Dark Room

Dark Room

Titel: Dark Room
Autoren: Sophie Andresky
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blassen Gesicht, den riesigen dunklen Augen und der zierlichen Figur wirkte sie schutzbedürftig und harmlos. Und dann waren diese Männer, die sich gönnerhaft freundlich oder aber unangemessen besitzergreifend aufführten, völlig überrumpelt von ihrer Aggressivität. Keiner rechnete damit, dass sie sich wehren konnte, und schon gar nicht, dass sie derartig rücksichtslos angreifen würde, diese kleine, niedliche Person mit der Unschuldsmiene.
    Fiona hatte einfach keine Angst.
    Weder davor, jemanden anzugehen, noch davor, selbst verletzt zu werden. Das Gefühl fehlte in ihr wie eine Fremdsprache, die man manchmal hört, von der man aber kein Wort versteht, und dadurch handelte sie oft unvorhersehbar, die Überraschung war dann immer auf ihrer Seite. Eine Person ohne Zögern oder Selbstschutz, damit rechnete man einfach nicht.
    Für Fiona selbst war das logisch. Dazu brauchte sie sich bei keinem Therapeuten auf die Couch zu legen. Sie konnte ihre Verwandlung genau datieren: Als sie sieben war, hatte sie ihre Eltern sterben sehen, und in dieser Nacht war es mit ihr geschehen: Sie hatte seitdem nie wieder Angst gehabt. Erst dachte sie, sie müsste jetzt auch sterben, und da war die Angst so groß, dass sie sie ganz ausfüllte und aufblähte wie einen Ballon, aber als sie verstand, dass sie überleben und dass nie etwas Schlimmeres geschehen würde als in dieser Nacht, platzte der Ballon, und die Angst klebte an den Fliesen wie die tausend Blutströpfchen ihrer Eltern. Zurück blieb eine Totenstille in ihrer Brust. Sie hatte schon keine Angst mehr, als die Polizisten eintrafen, und seitdem war auch kein ähnliches Gefühl wiedergekommen. Was sollte nach dieser Nacht noch passieren? Angst war nicht mehr nötig.
    Nur ein Idiot könnte das für eine Gabe halten. Keine Angst zu haben war gefährlich. Eine Behinderung. Es brachte sie in solche Situationen.
    Sie blickte im Laufen hinter sich und sah, dass sie alle paar Meter ein weißes Federchen ihrer Engelsflügel verlor und so eine Fährte hinter sich legte, der der Jäger nur zu folgen brauchte. Aber dann drehte sich das Karussell in ihrem Kopf ein Stück weiter, und der Gedanke war weg. Sie fühlte, wie unbequem die Schulterriemen ihrer Flügel waren, und überlegte, dass sie morgen früh rote Striemen über den Schlüsselbeinen haben würde. Das nächste Mal würde sie sich für die andere Seite entscheiden, als Teufel hätte sie wahrscheinlich irgendwelche schwarzen Dessous angehabt und vielleicht einen Dreizack in der Hand. Diese großen Flügel waren nur unbequem, und wenn man es genau nahm: Weiße Wolken und Harfen waren wirklich nicht Fionas Welt.
    Zur Hölle wäre ihr auch einiges eingefallen, denn die hatte sie schon gesehen. Die Hölle war blau gefliest und hatte Blümchenhandtücher, war ein Ort zum Zähneputzen und Baden, und sie hatte ihre Eltern dort verbluten sehen. Glücklicherweise wusste das von den Labyrinthgästen niemand, die dachten bei Hölle vermutlich eher an rote Devil-Bitches in Strapsen und an Fistingspielchen mit Noppenhandschuhen. Fiona würde es niemandem sagen, wie es dort unten wirklich war, wie kalt und wie totenstill. Deshalb passte das Labyrinth zu ihr. Kein blödes Gequatsche. Nur Ficken.
    Sie fror. Wenn sie anfing, an das blaue Badezimmer zu denken, dessen Tür sie seit unzähligen Jahren nicht mehr geöffnet hatte, war das immer ein Zeichen dafür, dass das Zeug, das sie geschluckt hatte, von der üblen Sorte war, und es gleich in ihrem Kopf drunter und drüber gehen würde. Einfach wegzulaufen nützte nichts, das hatte Fiona verstanden, der Verfolger würde sie wegen der Federspur immer wieder finden, sie brauchte einen Plan. Ausziehen konnte sie die Flügel nicht, sie waren mit dem Bikinioberteil vernäht und mit einem Lederband fest um den Oberkörper geschnürt. Und schon während sie die nächste Abzweigung links nahm, war ihr klar, was sie tun würde.
    Das Haus, in dem ihre ehemalige Freundin und Kinderheimgefährtin Evi mit ihrem Vater wohnte, lag nur zwei Seitenstraßen entfernt. Früher war sie fast täglich hier gewesen, und sie wusste, dass das Grundstück so gut gesichert war, wie nur Paranoiker es tun. Evis Vater hatte allen Grund dazu, hinter hohen Mauern mit Stacheldraht zu wohnen, und Fiona hatte sich oft gewünscht, das Haus sähe nicht nur aus wie eine Anstalt, sondern sei auch eine, und Evis Vater wäre dort weggesperrt und könnte dann mit seinem kruden Mist, den er predigte, Pfleger und Schwestern nerven. Sie
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