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Darf ich meine Oma selbst verbrennen?

Darf ich meine Oma selbst verbrennen?

Titel: Darf ich meine Oma selbst verbrennen?
Autoren: Peter Wilhelm
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frischgebackene Witwe.
    »Mama, Endreut ist nicht der Name des Bestatters, sondern mein Handy kann Android, das ist dieses Programm da drinne.«
    »Und damit kann man den Papa beerdigen?«, wollte Frau Schlatt wissen.
    »Nein, Mama, aber damit können wir den Bestatter finden.«
    »Aber den muss ich doch nicht finden, der wohnt da drüben an der Ecke, das sind keine zweihundert Meter von hier.«
    »Den meine ich doch nicht, der ist doch bestimmt viel zu teuer.«
    »Woher willst du das denn wissen, Jutta? Du warst doch noch nie bei dem.«
    »Im Internet ist alles billiger, Mama.«
    »Ja, und kommen dann auch Leute von dem Internetz zur Beerdigung? Ich will nämlich nicht, dass da Wildfremde kommen.«
    »Aber Mama, du kennst dich wirklich nicht aus. Lass mich mal machen.«
    Wenig später hatte Tochter Jutta, unterstützt von ihrem Mann Jörn, eine Seite im Internet gefunden, deren Betreiber verspricht, Tag und Nacht, bundesweit für 499 Euro die Menschen unter die Erde zu bringen.
    »Da rufen wir mal an. Siehste, Mama, da geht das ganz billig.«
    »Na, wenn ihr meint, ich bin ja froh, dass ihr euch kümmert, mir wäre das zu kompliziert. Ich wäre einfach da rübergegangen, sind ja nur zweihundert Meter.«
    »Da wirste aber nur abgezockt, hört man doch immer wieder im Fernsehen. Ich ruf jetzt mal den Günstigen an.«
    Der Günstige geht nicht an den Apparat. Stattdessen läuft ein Band, und Jutta hört eine lange Ansage. »Wenn Sie aus Brandenburg anrufen, dann wählen Sie bitte die Blablabla, rufen Sie aus Baden-Württemberg an, dann wenden Sie sich bitte an die Blablabla …«
    Statt zu sagen: »Das ist aber eine umständliche Geschichte«, sagt Jutta: »Ach, das ist ja toll, die haben überall jemanden. Ich hab mir die Nummer von hier jetzt aufgeschrieben und ruf jetzt da mal an.«
    »Hier?«, fragt Frau Schlatt. »Hier aus der Stadt?«
    »Nein, aus Gummpeldingenshausen.«
    »Wo ist das denn?«
    »Keine Ahnung.«
    Jörn mischt sich ein: »Ich guck mal in Google.«
    Frau Schlatt ist irritiert: »In was für einer Kugel?«
    »In Guuuuugel, Mama! Das ist eine Suchmaschine«, erklärt Jutta.
    »Eine was?«
    »Setzt dich da hin, das ist nichts für dich, trink lieber Kaffee, Jörn und ich machen das schon.«
    Frau Schlatt sitzt da, trinkt Kaffee, und ihre Tochter und ihr Schwiegersohn hantieren wie wild mit ihren Handys. Jörn hat keine Ortschaft mit dem Namen Gummpeldingenshausen gefunden, und schon nach »Gumm…« fragt ihn sein Handy: »Meinten Sie Karaoke-Bar?«
    »So ein Mist! Ich will doch jetzt nicht singen!«, schimpft er, und Frau Schlatt merkt auf: »Ach ja, der Organist singt auch immer so schön, den müssen wir auch noch bestellen.«
    »Das macht doch alles der Bestatter«, beruhigt sie ihre Tochter und wählt nun beherzt die vom Band abgeschriebene Nummer.
    Er sei gerade auf der Autobahn unterwegs und habe ganz schlechten Empfang, sagt der Mann am anderen Ende der Leitung. Man solle sich etwas gedulden, er rufe gleich zurück.
    »Der ist grad innem Funkloch«, sagt Jutta zu Jörn, und Frau Schlatt fällt dazu ein: »Ach Gott, der Arme, ruft da jemand jetzt die Feuerwehr, um dem da rauszuhelfen?«
    Die »Kinder« beachten den Einwand der alten Frau gar nicht, und Jutta hilft Jörn beim Vergrößern der Karte von Gummpeldingenshausen. »Ach du meine Güte, das ist ja gar nicht hier, das ist ja in der Ostzone!«, bemerkt Jörn erstaunt, und Frau Schlatt meint dazu:
    »Tante Hedie war auch in der Ostzone, da haben wir immer Päckchen hingeschickt, aber jetzt gibt es die ja nicht mehr.«
    »Ja, ja«, sagt Jörn, »die DDR ist weg.«
    »Nee, Tante Hedie ist weg, die ist 1984 gestorben.«
    Der Bestatter aus Gummpeldingenshausen ruft zurück. Er sei gar nicht weit weg, aber jetzt, am Dienstag nach Ostern, sei sehr viel Verkehr auf den Autobahnen, und es könne so zwei Stunden dauern, bis er da sei, um den Verstorbenen aus dem Krankenhaus abzuholen. Man könne sich ja inzwischen auf der Internetseite einen Sarg und eine Urne aussuchen, dann gehe das nachher alles viel schneller, er müsse ja heute noch nach Flönzstedt und dann wieder nach Gummpeldingenshausen.
    Jörn triumphiert: »Guck mal, da isses ja, das Gummpeldingenshausen.«
    »Wofür brauchen wir das eigentlich?«, will Frau Schlatt wissen.
    »Da ist der Bestatter her«, erklärt Jörn seiner Schwiegermutter, und die fragt: »Wäre es nicht einfacher, wir wären einfach da rübergegangen, ich meine zu dem, der nur zweihundert Meter von hier weg
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