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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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Geliebte.
    Sie ist gekommen, um zu bleiben.
    Hat sich häuslich niedergelassen und eingerichtet. Sie hat ja selbst kein Gepäck, sie lebt nicht einmal aus dem Koffer, sondern einzig und allein aus mir.
    Aber warum ist das passiert mit uns? Hatte ich sie dazu eingeladen? Ihr eindeutige Signale gegeben? Wieso ist sie mir gefolgt über all diese vielen Jahre und Kilometer? Warum hat sie mich begleitet in dieses neue Leben? Ist es das überhaupt noch, seitdem sie an meiner Seite ist – ein Leben?
    Es ist nur schwer zu erklären, was ich an ihr liebte.
    Platt gesagt gab sie mir das Gefühl, die Dinge unter Kontrolle zu haben – und vor allem, nicht mehr dick zu sein. Dabei war sie – letztlich – nur eine Urlaubsbekanntschaft.
    Ich traf sie erst spät in meinem Leben. Wir begegneten uns beim Sport.
    Übersetzt heißt das: Ich reiste nach Kapstadt, Südafrika, und fröhnte dem Frommert-Triathlon. Ich fuhr Rad, ich rannte, und ich hungerte, so lange bis wir uns zwangsläufig treffen mussten. Es war eine einschneidende Begegnung, die mein Leben komplett änderte. Sie wäre wohl nicht der erste Urlaubsflirt, der einem Mann zum Verhängnis würde. Zwischen uns gab es zunächst nur schleichende Akzeptanz, keine Leidenschaft. Das große Glück gab es nie, jedenfalls nicht das im klassischen Sinn. Wohl kaum jemand könnte mir folgen, wenn ich sagte, dass es besser war als jeder Orgasmus, mit ihr gemeinsam zum ersten Mal die 50-Kilo-Marke auf der Waage unterschritten zu haben. Allerdings wäre sie wohl die erste Ferienaffäre, die wirklich nur nimmt, und zwar alles, nicht nur Geld und Schmuck und Autos und teure Sonnenbrillen, und, und, und … Sondern eben auch Sehnen, Muskeln und Fleisch. Große Teile meines Körpers hat sie mir weggefressen und abgenagt.
    Ich frage mich oft: Warum habe ich das Genage und Geschlinge zugelassen, diese Umklammerung in jeder Phase, gerne sogar? Warum habe ich sie in ihrem unstillbaren Hunger an mich herangelassen, ihr nachgerade Tür und Tor zum Wertvollsten geöffnet: ZU MIR ? Andererseits denke ich aber auch: Ohne sie hätte ich das alles nicht geschafft. So viel abzunehmen, so hart gegen mich selbst zu sein und zu bleiben. Das ist kranker Stolz, natürlich. Ich erfreue mich an dem Erfolg, ganz ohne Termin beim Chirurgen und ohne jegliche Filzstiftzeichnungen auf meiner Schwarte so viel abgenommen zu haben.
    Sie hat mir geholfen. Sie war da, als ich sie brauchte.
    Anna.
    Das klingt jetzt wie die zynischste aller Umschreibungen, aber so habe ich das damals wirklich gesehen, als ich nach Kapstadt abreiste: Es sollte die Zeit einer neuen Leichtigkeit für mich werden, nicht weniger als der Beginn einer neuen Ära. Ich erinnere mich noch genau an die Vision meiner selbst: Nicht mehr als eine Zukunft mit neuem Bauchgefühl und dem klaren Vorsatz im Kopf: Nie wieder dick! Nie. Mehr. FETT !
    Das mit der Leichtigkeit hat ja dann auch gut geklappt. Es war wohl kaum jemand bei 1 Meter 84 leichter als ich.
    Neue Lebensentwürfe, so dachte ich damals, bedürfen eines klaren Bruches zum bisher Gelebten. Und eines ausgiebigen Luftholens. Wo könnten Altlasten besser entsorgt und rosige Zeiten schneller eingeläutet werden als unter dem blauen Himmel Südafrikas, beschienen von diesem einzigartigen Licht? So machte ich mich also auf den Weg. Im Flieger, im Auto, per Rad, zu Fuß. Nach und durch Südafrika.
    Mit Sportklamotten, Laufschuhen, erstklassigen Fahrrädern.
    Und immer weniger Proviant.
    Mittlerweile ist unsere Liebe nicht mehr so innig. Anna ist immer noch da, aber meine Verachtung für sie wächst. Ich sehe immer mehr, was sie mir antut, und immer weniger, was ich einst glaubte: dass sie mir guttut. Sie setzt mich Qualen aus und durchkreuzt einfachste Pläne. Sie bestimmt meinen Alltag wie eine kreischende Despotin.
    Aber werden wir einmal konkret. Ich kann Ihnen gerne sagen, was Magersucht im Alltag bedeutet: Im vollen Supermarkt stehen – und verhungern.
    Weil das, was man vielleicht nehmen könnte und will, nicht immer da ist. Und man das, was da ist, nicht einfach so nehmen kann, auch wenn man es manchmal will. Denn alles hier hat KALORIEN .
    Im Kopf schwirrt es: 100 Gramm Magermilch-Joghurt mit 0,1% Fett von Weihenstephan haben 52 Kalorien, der Joghurt von Onken aber nur 48, dafür hat Onken 0,1 Gramm mehr Kohlenhydrate. Die Papaya hat 13 Kalorien pro 100 Gramm, ein Apfel aber 40 Kalorien. Also: Onken mit Papaya? Das wäre, alles zusammen …
    Nein, zu viel.
    Und so geht das ewig, jeden Tag,
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