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Danach

Danach

Titel: Danach
Autoren: Koethi Zan
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war ich stark. Dieses Mal würde ich uns alle retten.
    Tracy kam nur Zehntelsekunden später bei ihr an und half mir, ihre Arme festzuhalten. Auch Adele war wieder auf den Beinen und rannte aus dem Zimmer, um kurz darauf mit dem Seil aus dem Keller zurückzukommen. Gemeinsam fesselten wir Jennifer, so fest wir konnten. Weil wir keine Sekunde länger in Jacks Haus bleiben wollten, zogen wir sie nach draußen in den Hof, wo wir um sie herumstanden und sie ungläubig anstarrten.

39
    Niemand sagte etwas. Wir kannten zwar noch nicht alle Einzelheiten der Geschichte, aber wir wussten genug, um uns ungefähr zusammenreimen zu können, was passiert war. Später erfuhren wir von Jennifers furchtbarem Martyrium, der jahrelangen Folter und Manipulation, der sie zunächst in Jacks Haus und später in Noah Philbens vermeintlicher Sekte ausgesetzt gewesen war. Nachdem die Männer ihre sadistischen Bedürfnisse an ihr befriedigt hatten, hatten sie sie als Nachrichtenübermittlerin für Jack im Gefängnis eingesetzt. Es war unvorstellbar, was sie alles hatte tun müssen, um zu überleben, welche Schmerzen sie erleiden – und, schlimmer noch – anderen hatte zufügen müssen.
    Tracy ging ein Stück den Abhang hinunter, auf der verzweifelten Suche nach Handyempfang. Endlich erreichte sie Jim, der wenig später mit blinkendem Blaulicht und heulenden Sirenen bei uns eintraf, eine Wiederholung des Einsatzes vor zehn Jahren, als er gekommen war, um Tracy und Christine zu retten.
    Mir war klar, dass man Jennifer zunächst in ein Krankenhaus bringen und später in eine psychiatrische Einrichtung überweisen würde. Nachdem die Polizisten sie in Gewahrsam genommen hatten, ging ich zu ihr hinüber.
    Sie war es wirklich. Sie war natürlich älter geworden, und ihr Gesicht zeugte von einem harten Leben, das aus nichts als Schmerz und Unglück bestanden hatte. Aber es war dennoch unverkennbar Jennifer. Nachdem ich jahrelang geglaubt hatte, die kalte, halbverweste Leiche in der Scheune sei meine beste Freundin gewesen, war es nun beinahe unheimlich, sie lebendig und munter vor mir zu sehen, so als wäre der Leichnam aus meinen Albträumen zum Leben erwacht. Ich fragte mich kurz, wer wohl mit mir in der Kiste gelegen hatte, verdrängte den Gedanken aber schnell wieder. Jetzt zählte nur, dass ich Jennifer wieder hatte.
    Sie war auf eine Tragbahre geschnallt, aber die Fixiergurte wären nicht nötig gewesen, denn sie rührte sich nicht. Ihre Augen waren auf einen Punkt in der Ferne gerichtet.
    Ob sie wohl an Jack Derber dachte?
    Ich fragte sie lieber nicht danach. Trotzdem interessierte mich brennend, wie es zu all dem hatte kommen können. Ich beugte mich über sie.
    »Jennifer«, brachte ich mit Mühe heraus. »Jennifer, was ist bloß mit dir passiert?«
    Sie weigerte sich lange, mich anzusehen. Dann wanderten ihre Augen endlich zu mir, ohne dass sie den Kopf bewegte. Wurde ihr Blick nicht ein wenig sanfter? Ich bildete mir ein, irgendwo in dieser Frau eine Spur der Jennifer zu entdecken, die ich gekannt hatte, bildete mir ein, dass ihre Augen mich flehend anblickten, so wie früher. 
    Als sie schließlich zu sprechen begann, klang ihre Stimme laut und kräftig. Sie sagte: »Ich fürchte mich nicht mehr. Nichts kann mir mehr Angst einjagen.«
    Das war alles. Dann starrte sie wieder ins Leere. Das Entsetzen bohrte sich wie ein Messer in mich hinein. Sie war nicht mehr derselbe Mensch.
    Ich versuchte mich mit dem Gedanken zu trösten, dass Jennifer – oder wer auch immer sie jetzt war – von nun an in Sicherheit war. Dort, wo man sie jetzt unterbringen würde, konnte ihr nichts und niemand mehr wehtun. Dort würde sie vollkommen sicher sein.
    Vielleicht bestand ja eine winzige Chance, dass die Ärzte sie wieder hinkriegten, dass sie wieder das Mädchen aus meinem Dachbodenzimmer wurde. Ich nahm mir selbst das Versprechen ab, dass ich von jetzt an immer für sie da sein würde. Dieses Mal würde ich sie retten, sofern auch nur die entfernteste Möglichkeit dazu bestand.
    Als Jim zu mir herüberkam, hatte man sie längst weggebracht. Die Sanitäter verbanden gerade Rays Fuß, während Christine und Tracy jeweils von einem Beamten befragt wurden. Adele saß alleine da und sah schweigend und benommen zu, wie die Polizisten den Tatort mit gelbem Absperrband abriegelten.
    Jim setzte sich neben mich auf den Boden und zupfte an einem Grashalm herum, den er zwischen den Fingern drehte. Er blieb auf Distanz.
    »Das war ganz schön heftig. Geht es
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